Gesandwichte Romantik

Hitlers Ausblick vom Obersalzberg als touristisches Ärgernis auf der Zugspitze: In der Galerie Ascan Crone zeigt Marcel Odenbachs Video-Collage „Das Große Fenster“, wie deutsche Sehnsucht und verdrängte Bilder zusammenhängen

Vielleicht kann es nur aus der Ferne erstrahlen – jenes Land der Seele und Imagination, das Deutsche „Heimat“ nennen. „Ich habe eigentlich ein Haus um ein Fenster herum gebaut“, äußerte Adolf Hitler zu dem damals größten Panoramafenster der Welt, das er in den Dreißigerjahren in sein Privatdomizil auf dem Obersalzberg einbauen ließ.

Die schwärmerische Schau aus dem zivilisierten Inneren hinaus auf eine weite und ursprüngliche Natur, die die nüchterne Realität vergessen lässt, ist als grundlegendes Motiv deutscher Sehnsucht in die romantische Dichtung und Malerei eingegangen. So gewaltig wie die schneebedeckten Gipfel des Berchtesgardener Landes, auf die der Führer vor seinem Fenster schaute, so erhaben erscheint auch der Glaube an die Unschuld dieses Ausblickes. Hitlers pompöser Berghof wurde von den Alliierten geschleift, das frühere Sperrgebiet zum touristischen Wallfahrtsort.

Als der Pionier deutscher Videokunst, der Kölner Marcel Odenbach, im Sommer des letzten Jahres seine Videoinstallation „Das Große Fenster – Einblick eines Ausblicks“ auf der Zugspitze zeigte, kam es zum Eklat. Die um den örtlichen Tourismus besorgte Bevölkerung empörte sich über die visuelle Verknüpfung von zwei deutschen Ausflugszielen, die sich in Odenbachs Kunstwerk zu einer historisch-politisch gebrochenen Aussicht assoziieren. Dem durch die zahlreichen Fensterkreuze einer Glasfront geteilten Alpenpanorama, das sich Besuchern der Zugspitz- Station bietet, setzte der Künstler ein anderes Gebirgsszenario entgegen: Seiner synchron auf sechs Monitoren ablaufenden Video- Collage lag der im Jahre 2001 festgehaltene Panoramablick vom Obersalzberg zugrunde.

In der Galerie Ascan Crone lässt die nun in einer einzigen zentralen Projektion gezeigte Arbeit den Berghof als imaginäre Behausung wieder auferstehen, vor deren digital eingeblendetem Fenstergitter sich ein vermeintlich reines und unbelastetes Naturschauspiel mit Versatzstücken deutscher Zeitgeschichte überlagert: Eva Brauns Filmdokumente der Besuche von NS- Größen auf dem Hof, Archivbilder von Arbeitseinsätzen, Soldatenaufmärschen, arischem Körperkult, Hans Albers als Münchhausen auf der Kanonenkugel. Immer wieder fällt ein Vorhang, um erneut aufgezogen zu werden – Verweis auf den theatralischen Charakter der Ansicht und ihre täuschende Beschaffenheit.

„Jede wahre Kunst muss ihren Werken den Stempel des Schönen aufprägen. Alles Gesunde aber allein ist richtig und natürlich. Alles Richtige und Natürliche ist damit schön.“ Diese Worte aus Hitlers Reden über die Kunst, die im Video-Soundtrack zwischen Vogelzwitschern, Zitherklängen und Fragmenten aus Bruckners Symphonie Nr. 8 eingebettet sind, decken sich mit der volkstümlichen Annahme, „die Natur sei doch der größte Künstler“. „Das Große Fenster“ bedeutet uns jedoch, dass diese Erwartung illusionär ist, dass jedes unserer unmittelbarsten Wahrnehmungserlebnisse untrennbar mit kollektiver kultureller Erfahrung verbunden ist. Das Fernweh nach einer, wie Ernst Bloch sie genannt hat, unberührten „Landschaft der Kindheit, worin noch niemand war“, trägt in sich die Spuren des Missbrauchs durch unsere Ahnen.

Davor bewahrt auch nicht die „Gnade der späten Geburt“. Jedes Beharren auf dem „unschuldigen Blick“ reproduziert verdrängte Bilder, wie Odenbach ironisch mit seiner Serie „ Edelweißpiraten“ andeutet. Die Papier-Collagen sind Bestandteil der Installation und paraphrasieren die „Flower“-Siebdrucke Andy Warhols. Beim genauen Hinsehen findet sich in den Blüten Textmaterial zur gleichnamigen Widerstandsgruppe. Das Edelweiß als falsche Popart- Pflanze: wie die Gebirgsketten vor Hitlers auferstandenem Berghof Bauform des Geistes.

OLIVER KOERNER VON GUSTORF

Bis 9. 4., Di.–Fr. 11–18, Sa. 12–18 Uhr, Galerie Ascan Crone, Kochstraße 60–61