S//W-Schneidereien

 ■ Ihre kunstvollen Scherenschnitte in der Weserburg sind mehr als bloß schöne Bilder aus Papier: Ein Statement zum Rassismus von Kara Walker

Sie versprühen mit ihren viktorianischen Silhouetten einen gewissen romantischen Zauber, die Bilder der afro-amerikanischen Künstlerin Kara Walker. Aus der Reihe ihrer Ausstellung „Künstler im Geschäftsjahr“ zeigt die Deutsche Bank Walkers Werke bis zum 7. April im Neuen Museum Weserburg.

Der erste Eindruck täuscht: Die handwerklich perfekten Scherenschnitte konfrontieren den Betrachter mit grotesken Szenen aus dem 19. Jahrhundert zwischen Großgrundbesitzer und Sklavin, die auf Rassismus, Sexismus und soziale Misstände aufmerksam machen und die damit auch die „heile Welt“ von heute in Frage stellen.

Kara Walker suchte nach einer Darstellungsmöglichkeit, die historisch wirkt - und fand die viktorianische Romanze mit ihrer oberflächlichen Sauberkeit. Die Form wird zur Falle: „Die Leute sehen hin, einfach weil es nett aussieht und Vergnügen macht. Und dann, vielleicht wird dieses oder jenes plötzlich weniger vergnüglich...“, so die 1969 in Kalifornien geborene Künstlerin.

So ist es eben nicht nur ein Mann der bei „The Emancipation Approximation (Scene 6)“ auf einem Stuhl sitzt. Vielmehr sitzt er auf einer Frau und läßt sich von einer anderen Frau oral befriedigen. Grotesk wirken die engelsgleichen Figuren im rechten oberen Bildrand, die sich küssend umarmen und von himmlischer gleichberechtigter Liebe zeugen.

Ihre Arbeit stelle schon einen zeitlichen Rückgriff dar, aber dieser historische Hauch sei auch eine Fälschung. „Wir leben zwar alle im Jahr 2000, aber vieles ist noch wie um 1850. In den Südstaaten ist ja auch heute noch so viel lebendig aus jener Zeit. Da gibt es Weiße, welche die Schwarzen hassen, und Schwarze, die nie ein Wort mit einem Weissen wechseln würden“, kritisiert die Künstlerin. Quelle der Inspiration für die wandfüllenden Werke und zeichnerischen und druckgrafischen Arbeiten, die in der Weserburg zu sehen sind, bieten authentische und fiktive Quellen, wie auch die Literatur afroamerikanischer Autorinnen wie Toni Morrison, Alice Walker und Suzan-Lori Parks. „Ich habe mich immer für Kunst interessiert, die an den Verstand appelliert und unser Bewusstsein dafür sensibilisiert, dass unsere Überzeugungen einem steten Wandel unterzogen sind“, stellt die Amerikanerin fest.

Kara Walker, die eine Professur an der Columbia University New York inne hat, verbrachte ihre Jugend im amerikanischen Süden. Die Scherenschnitt-Technik war dort noch sehr verbreitet und schon als Kind fand Walker sie faszinierend, da mit ihrer Hilfe „all die weißen Menschen ganz schwarz erscheinen.“ So sei die Welt in gewisser Weise korrigiert worden.

Auch wenn diese Schwarz-Weiß-Problematik hierzulande nicht so akut sei, gebe es auch hier stereotype Denkmuster, die es aufzubrechen gelte, so Andreas Stuhlmann, Pressesprecher der Deutschen Bank für Norddeutschland. „Die Gewalt auf dieser Welt ist wohl ein Virus, das ständig neue Formen annimmt und immer eine Möglichkeit findet, das Leben zu infizieren“, stellt Kara Walker fest. Sörre Wieck

„Kara Walker“, Neues Museum Weserburg. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr.