Verrat, natürlich unbenannt

Künstlich oder bieder: Hamburger AutorInnen stellen heute ihr „Macht“-Werk vor  ■ Von Doro Wiese

Es gibt sie, die Bekennenden des Literaturbetriebs. Die Macht, Ehre, Ruhm haben wollen. Die sich auf Buchtiteln verraten, die Macht schreiben, weiß auf schwarz. Einwände? Keine. Dass die 29 AutorInnen sich zudem organisieren, der Clubszene verpflichtet fühlen und ein eigenes Hamburger Dogma haben? Gut. Provokation? Nein. Eher beruhigend, wenn junge LiteratInnen nicht wie Günther Grass leben und schreiben.

Und die Literatur? Sie wird man lesen müssen, Zeile für Zeile und dazwischen. Da stehen sie in dem Macht betitelten Band versammelt, 61 Beiträge von Hamburger AutorInnen, im lockeren Blocksatz vereint. Einige tanzen aus der Reihe, andere bekennen sich zu den auferlegten Regeln. Stilistisch bedeutet das Dogma kurze Sätze, wenig Adjektive und keine verbrauchten Metaphern. Zudem ist der allwissende Erzähler tot, es lebe die personale, nie gewechselte Erzählperspektive. Gefühle werden nicht benannt, sondern dargestellt. Es wird im Präsens geschrieben. Man hat es demnach mit einer performativen Literatur zu tun, die etwas macht, indem sie in der ewigen Gegenwart voranschreitet. Die „und dann und dann und dann“ sagt. Die sich einschränkt im Blick, aber bisweilen die Phantasie wuchern lässt. Irgendwo müssen die Gefühle ja hin, zum Beispiel in die Handlung. Da werden Yuppiewohnungen mit Kunstanspruch zerstört, protzige Rechtsanwälte der Gasse überlassen, die Begegnung mit dem anderen Geschlecht austariert. Manche Geschichten sind komisch, andere nur gewollt. Macht ist eben ein ganz gemischter Sammelband.

Schön wird das Hamburger Dogma, wenn es wirkt. „Think Pink“ von Verena Carl ist beispielsweise eine Erzählung, die sich gut liest. Das Ich ist ein Mädchen, das Pop hört und Mädchen liest. Ein Mädchen, das rosa Stoffschuhe trägt und dessen Zahnspange nicht beim Küssen stört. Ein Mädchen, das eine einzige Liedzeile beim Plattenhören anspielt. Ein Mädchen, dessen Freundin zur New Wave überläuft. Dessen Freundin jetzt die gleiche Musik wie ihr neuer Typ hört. So wird die Beschreibung eines gewechselten Musikgeschmacks zum Zeichen des Verrats. Selbstverständlich unbenannt. Aber wer hat nicht schon eine Freundin gehabt, die sich so unangepasst einer anderen, geschlechtermarktspezifischen Norm angepasst hätten? Die auf diese Art eine Mädchenfreundschaft auftrennte? Die Erinnerung, die bei der Lektüre auflebt, passt sich dem Erzählstil an und hat Zeit zum Nacherleben.

Während Carl aufmerksam die Zeichen versammelt und langsam wirken lässt, weichen andere auf die gegenwärtige Selbstreflexion aus. „Und ich wünschte mir, diese Geschichte würde nicht ihren Gang nehmen“, steht da beispielsweise in Oskar Sodux' „Das Nachspiel; die Farce“ geschrieben. Ein merkwürdiges Auftauchen des implizierten Autors mit Rückkoppelungseffekt. Denn wenn der hinzugeschaltete Erzähler seine Geschichte nicht erzählen mag, wer soll sie dann noch lesen wollen?

Fazit: Schreibe nie, niemals, nie, dass du den Fortgang der Geschichte so nicht möchtest, wenn du keinen Leserinnen-Unmut erzeugen willst. Die Konstruiertheit der Erzählung lässt sich auch auf andere Art aufdecken. Ohnehin ist es für das Lesepublikum schöner, selbst zu entdecken. Sodux' Text zeigt die Stärke der Hamburger-Dogma-Regeln. Werden Gefühle nicht selbst-reflexiv benannt, übersetzen sie sich in Bilder. Zuweilen künstlich, zuweilen bieder. Die Gegenwart kann daher auch langweilig sein.

Aber wenn in Michael Weins' „Zucker“ das bestgehütete, allergeheimste Märchengeheimnis übertroffen wird – von einer Realität, in der nicht Zucker, sondern Weltraumschaum das Wunder herbeiholt: Dann steht man als LeserIn plötzlich im unbenannten Raum und kann sich entfalten. Kann die Texte aufladen, indem man ihnen Leben einhaucht. In aller Stille. Das nennt mandann gute Kommunikation zwischen Text und LeserInnen.

Lesung heute, 20 Uhr, Mojo Club

machtbuch. Rotbuch Verlag 2002, 286 S., 15 Euro