Neue Nuklearpläne

Die USA senken die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen. Außenminister Colin Powell spricht von „weiser militärischer Planung“

von ERIC CHAUVISTRÉ

US-Außenminister Colin Powell hat die Existenz neuer militärischer Planungen zum möglichen Einsatz von Atomwaffen bestätigt. Danach wollen die USA neue Nuklearwaffen entwickeln. Ferner werden als mögliche Einsatzgebiete neben Russland und China auch Staaten genannt, die nicht über eigene Atomwaffen verfügen.

In der Los Angeles Times hatte der kritische Rüstungsforscher und ehemalige US-Geheimdienstoffizier William Arkin aus der der streng geheimen „Nuclear Posture Review“ zitiert, einem im Januar dem US-Kongress vorgelegten Dokument zur künftigen Atomwaffenpolitik der USA.

Dem Bericht zufolge soll die Schwelle für den Einsatz von US-Atomwaffen deutlich gesenkt werden. Entscheidend ist die Neuerung, dass die USA auch schon bei – aus ihrer Sicht – „überraschenden militärischen Entwicklungen“ Atomwaffen einsetzen werden.

Als Konsequenz werden Pentagon-Planer mit der Richtline angewiesen, Pläne für den Atomwaffeneinsatz gegen Staaten zu entwickeln, die selbst keine Atomwaffen besitzen. In dem Dokument werden Irak, Iran, Nordkorea, Libyen und Syrien als diejenigen Staaten genannt, mit denen es zu einer Konfrontation kommen könnte, bei der die USA Atomwaffen einsetzen würden. Auch ein Krieg mit China um Taiwan wird zu diesen Szenarien gezählt. Eine Konfrontation mit Russland wird dagegen derzeit zu den weniger wahrscheinlichen Szenarien gerechnet.

US-Außenminister Colin Powell spielte die Bedeutung des Papiers herunter: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist auf kein Land dieser Erde routinemäßig eine US-Atomwaffe gerichtet“, sagte er. Es handele sich „um weise, militärische Planungen“.

Die neue Zielplanung bedeutet eine Abkehr von einer 1978 von den USA abgegebenen Versicherung, keine Staaten mit Atomwaffen zu bedrohen, die nicht selbst Atomwaffen besitzen oder mit einer Atommacht verbündet sind. Diese Zusicherung gilt als wichtiger Zusatz zu dem Vertrag über die Nichtweitergabe von Atomwaffen.

Dem geheimen Dokument zufolge sollen auch die Anstrengungen zur Entwicklung neuer Atomwaffen verstärkt werden. Ziel ist es nach den jetzt bekannt gewordenen Informationen, Atomwaffen auch in Kampfsituationen wie jetzt in Afghanistan einzusetzen. Dazu sollen „Sprengköpfe, die Kollateralschäden reduzieren“, gebaut und Cruise-Missiles sowie Kampfflugzeuge angepasst werden, „um Atomsprengköpfe zu tragen, wenn erforderlich“. Auch die derzeit in Afghanistan eingesetzten Spezialeinheiten spielen in dem Dokument eine Rolle: Sie sollen künftig darauf trainiert werden, die Ziele für Atomwaffen zu erfassen.