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: Friedliche Koexistenz: Terror, Fußball und Israels TV

Fünf Tote beim dritten Tor

Sollten noch immer einige Bürger dieses völlig durchgeknallten Staates Zweifel gehegt haben am wackligen Gefühlszustand des Landes, so wurden spätestens am Samstag, den 2. März alle Bedenken zerstreut. Jeden Samstagabend überträgt Kanal 2, Israels beliebtester Fernsehsender, ein Fußballspiel. Ein paar Wochen zuvor, gleich nach einem Terroranschlag, hatte der Sender das übliche Programm einfach fortgesetzt, inklusive Werbung, und wurde dafür von den zuständigen Behörden zur Rechenschaft gezogen. Am Samstag, nachdem sich in Jerusalem ein neues Selbstmordattentat ereignet hatte, bewiesen die Intendanten, dass sie den Hinweis von oben kapiert hatten, und begannen sofort, Neuigkeiten über den Anschlag zu senden. Um jedoch keine Fußballfans zu verprellen oder um sinkende Einschaltquoten zu verhindern, zeigte Kanal 2 die neuesten Berichte vom Schauplatz des Verbrechens auf einem geteilten Bildschirm. Auf der einen Seite waren blutende Opfer zu sehen, im Hintergrund ein brennendes Fahrzeug in einer engen Jerusalemer Straße, während auf der anderen das Fußballspiel übertragen wurde.

So mussten die betroffenen Zuschauer nicht zwischen zwei Stühlen sitzen, sondern konnten auf beiden zugleich Platz nehmen und auf der linken Hälfte des Bildschirms den Direktor eines Krankenhauses vor laufenden Kameras sagen hören, dass sich ein 18 Monate altes Baby unter den Opfern befinde, ohne auf der rechten Hälfte Haifas kroatischen Megastar zu verpassen, wie er den Ball am Tor vorbei ins Aus schoss. Vom Ort des Terroranschlags wurden fünf Todesfälle gemeldet, aber der Spielstand im Haifa-Stadion brauchte sich dahinter nicht zu verstecken – inzwischen war ein drittes Tor erzielt worden. Aus Ramallah erreichten den Zuschauer Berichte von Palästinensern, die den geglückten Terroranschlag in den Straßen feierten, und aus Haifa wurden Bilder von jubelnden Fans gezeigt. Ein Polizeisprecher sagte, dass sie von den grauenhaften Terroranschlägen überrascht worden seien, nebenan schien der Tabellenletzte den scheidenden Meister zu besiegen – wer hätte das für möglich gehalten.

Dieser bizarre geteilte Bildschirm hatte etwas Surreales. Aber es handelt sich dabei nicht um Surrealismus, sondern um eine Art Hyperrealismus, hardcore reality, wenn man so will. Dies ist ein Land, das den Schmerzen der eigenen Bürger lange schon gleichgültig gegenübersteht, ganz zu schweigen vom Leid der Feinde. Vor ein paar Tagen waren zwei schwangere Frauen, eine Israelin und eine Palästinenserin, bei einem Überfall angeschossen worden – ohne übermäßig Aufmerksamkeit zu erregen. Beide schafften es trotz der Verletzungen, gesunde Kinder zur Welt zu bringen, die, mit ein bisschen Glück, aufwachsen, um in fünfzehn Jahren erschossen oder in die Luft gesprengt zu werden.

Das israelische Fernsehen ist eben auch nichts anderes als ein Spiegel unserer zerrissenen und gegen Gewalt immunisierten Gesellschaft. Für diejenigen, die stets auf dem Laufenden sein wollen, gibt es immer den letzten Stand der Nachrichten. Und für die anderen, die sich eher zweifelhaften Vergnügungen hingeben, werden ein paar herrliche Spielzüge geboten. Während der Übertragung stieg die Zahl der Opfer auf der einen Seite des Bildschirms stetig an, und auf der anderen Seite konnte das Dream-Team von Kiryat Gat weiter mit dem Tabellenführer mithalten. Als der Schlusspfiff ertönte, war der Ausgleich erreicht. ETGAR KERET

Der Schriftsteller Etgar Keret lebt in Tel Aviv, aus dem Englischen von Jan Brandt