Jetzt rennt Lolle durch Berlin

Die ARD will etwas Schwung in den Daily-Soap-Trott bringen. „Berlin, Berlin“ schaut vier jungen Hauptstädtern beim Leben und Lieben zu – und das ist oft wie im Comic (18.50 Uhr, ARD)

von MARKUS MÜNCH

Hackescher Markt, Fernsehturm und ’ne gelbe U-Bahn – das alles gibt es bekanntlich in Berlin. So weit nichts Besonderes. Und eine Serie, die in Berlin spielt, auch noch „Berlin, Berlin“ zu nennen, ist nicht gerade revolutionär. Doch der erste Eindruck täuscht. Dahinter versteckt sich der gelungene Versuch der ARD, mit einer hochwertigen, originellen Serie den abendlichen Daily-Soap-Trott zu durchbrechen.

Die Ideen dazu sind zwar nicht neu, aber gut eingesetzt. Eine scheint beim Tykwer-Film „Lola rennt“ geklaut: Felicitas Woll alias „Lolle“ gibt es gleich zweimal – als realen Menschen und als Comicfigur. Eine andere kommt von RTL: Lolle führt mit Kommentaren aus dem Off durch die Handlung – so wie in der Serie „Mein Leben und ich“, die für den Grimme-Preis nominiert ist.

„Linie 1“-Remake fürs Fernsehen

Der Start heute Abend ist allerdings sehr schlapp: Zwischen Berliner Sehenswürdigkeiten und Klischeebildern irrt das Landei Lolle durch die große fremde Stadt, um ihren Freund Tom zu finden – eine Story, die stark an das Stück „Linie 1“ des Grips-Theaters erinnert. Tom hat natürlich schon längst eine andere und die auch noch von der Homosexualität bekehrt. Wenigstens ist Lolle somit nicht die Einzige, die verlassen wurde. Auch die Exfreundin von Toms neuer Flamme lauert eifersüchtig auf eine Gelegenheit, dem Paar eins auswischen. Die lesbische Großstadtzicke wird gespielt von Sandra Borgmann, die für ihr Debüt in der Independent-Produktion „Oi! Warning“ viel gelobt wurde und auch in der Serie ohne jede Klischeeneigung überzeugend spielt. Wenn es das Drehbuch zulässt. Und das passiert leider erst, wenn die Einführung vorbei ist und am Ende der zweiten Folge alle Figuren da sind, wo Chefautor David Safier sie offensichtlich haben wollte: Rosalie als Lolles beste Freundin, Sven (Jan Sosniok) als Lolles Cousin mit väterlicher Neigung und Vorzeige-Macho „Hart“ (Matthias Klimsa). Der lockert als WG-Nachbar gern mal eine Szene durch einen trockenen Spruch auf oder bringt mit Selbstironie alles wieder ins Gleichgewicht – sollte es doch mal etwas kitschig werden.

NDR-Produzent Bernhard Gleim bezeichnet seine neue Serie als „Dramedy“ – eine Kombination aus Drama und Comedy, denn die Geschichten aus Lolles Leben sollen sich auch schon mal um ernstere Themen drehen. „Dramedy“ klingt natürlich spannender als „Sitcom“, aber eigentlich lebt auch „Berlin, Berlin“ von der Situationskomik der Geschichten, die sich, wie in der US-Erfolgsserie „Friends“, um den etwas chaotischen Alltag der vier Hauptfiguren drehen. Produzent Gleim legt Wert darauf, dass „Berlin, Berlin“ keine Daily Soap ist, dafür sei die Serie viel zu aufwändig produziert. Für zwei Folgen wurden mindestens zehn Drehtage gebraucht – eine Soap hätte das in zwei Tagen geschafft. Allerdings hat das Vorabendprogramm der ARD, geprägt von „Marienhof“ und „Verbotene Liebe“, auch Einfluss auf die neue Serie genommen. Die ursprünglich doppelt so langen Episoden wurden auseinander gerissen, so dass sie in das 25-Minuten-Format der Soaps passen. Inhaltlich gehören also immer zwei Teile zusammen: Dienstag und Mittwoch, Donnerstag und Freitag. Wer mittwochs oder freitags einsteigt, hat den Anfang verpasst.

Schreck! Räusper! Schluck!

Weder Headautor Safier noch die Schauspieler sind von diesem Modell begeistert, ihnen bleibt aber nichts anderes übrig als zu hoffen, dass die Zuschauer mitmachen – die bisherigen Vorabendquoten sprechen dafür, sagt Gleim. Außerdem setzt die ARD auf die Besonderheiten der Serie: die Off-Kommentierung und die Comic-Strips. In ihnen tobt sich die Hauptfigur Lolle aus, zerreißt etwa bildlich eine Konkurrentin in der Luft. Allerdings sind die Comics sehr schlicht und werden auch leider nur sehr zurückhaltend eingesetzt. Glücklicherweise ist Felicitas Woll eine ideale Ergänzung zur Zeichtrickfigur: Niemand sonst könnte wohl so eine comic-hafte Mimik an den Tag legen wie sie: Wenn sie vor Erstaunen ihr großen Augen aufreißt und den Schreck hinunterschluckt, fehlen eigentlich nur noch die Sprechblasen: „Schreck! Ahhh! Räusper, schluck!“