Visionen unkontrollierter Bewegungen

■ Präsentation im Schanzenbuchladen: Das Plakatbuch „Vorwärts bis zum nieder mit“

Autonome plakatierten gern und häufig: in Autonomen Jugendzentren, besetzten Häusern oder – während der schlimmsten Hochzeiten der Alternativbewegung – auch schon mal in der WG-Küche oder über dem eigenen Futon. Verstand sich die Bewegung eben immer auch als Subkultur, die nicht zuletzt mit der alten Forderung rang, das Private zu politisieren. So wie die Trennung gesellschaftlicher Sphären tendenziell im Postfordismus aufgehoben – und kein bisschen emanzipatorisch – ist, wirken manche der in dem Band Vorwärts bis zum nieder mit versammelten Plakate wie enorm verspätete Echos aus einer längst vergangenen Zeit.

Wie die Geschichte eines jeden Keingärtnervereins ließe sich so auch eine Geschichte der Autonomen und anderer „unkontrollierter Bewegungen“ der letzten 30 Jahre schreiben. Und genauso leicht endete ein derartiges Unterfangen in der kulturpessimistischen Musealisierung – diverse Historiker der 68er-Revolte haben es vorgemacht.

Trotz Coffetable-Book-Qualitäten gehen die Plakatarchivare um das Druckerkollektiv HKS 13 wohltuend anders vor. Ihnen geht es weder um die möglichst geräuschvolle Verabschiedung radikaler linker Positionen noch um eine Nos-talgie, die die eigene Weiterexis-tenz zum politischen Sieg verbrämt, ohne veränderte Rahmenbedingungen anzuerkennen. Vor zwei Jahren versammelten sie in Hoch die kampf dem Exponate aus „20 Jahren autonomer Bewegungen“ zu einer Mentalitäts- und Kulturgeschichte, die mit dem eigenen Lager hart ins Gericht ging. Vom Kifferkitsch der späten 70er Jahre über kindliche Verniedlungsstragien bei der Anti-Repressionsarbeit bis hin zum Proletkult-Kult mancher Antifas untersuchten sie linksradikale Plakate auf übersehene Bedeutungen, Verkürzungen und Projektionen – mit einer destruktiven Lust, für die nicht nur Bakunin, sondern auch Roland Barthes Pate gestanden haben muss.

Mit Vorwärts bis zum nieder mit erweitern die sammelwütigen Semiotiker das Spektrum in zweierlei Hinsicht: Die frühesten Plakate stammen aus der Apo-Frühphase Anfang der 60er Jahre; der Untertitel „unkontrollierte Bewegungen“ verweist auf das Ziel, sich nicht auf die Plakate der Autonomen allein zu beschränken. Neben Plakaten der Chile-Solidarität oder Anti-Apartheid-Bewegung, finden sich Kapitel zu den Bilderwelten der Grünen und der maoistischen K-Gruppen. Aber auch die Repräsentationsstrategien und Probleme der lesbischen und schwulen Bewegungen der Gegenwart werden einer Untersuchung unterzogen. Eine beigelegte CD-Rom hält über 8000 Abbildungen zum Selbststudium bereit; ein weiterer Beitrag gibt praktische Nachhilfe in Sachen Grafikdesign. In den besten Momenten gelingt es den analytischeren Texten des Bandes, die Geschichte der Linken und die Geschichte eines „linken Imaginären“ durch die Plakate hindurch zu schreiben, in den schwächeren Momenten reihen sich Organisationsgeschichte und Gestaltungsstrate-gien bloß additiv; das Visuelle erscheint als Aufhänger für eine eigentliche Geschichte, die auch ohne ihre Plakate hätte stattfinden können. Tobias Nagl

heute, 20 Uhr, Buchladen im Schanzenviertel (Schulterblatt 55)

Vorwärts bis zum nieder mit. 30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegungen, Verlag Libertäre Assoziation, 288 S., 25,50 Euro