Anpassungen

Im Hamburger Carlsen Verlag erschienen: Scott McClouds „Comics neu erfinden“  ■ Von Ole Frahm

Scott McCloud hat eine Vision: Er möchte die Comics neu erfinden. Deshalb hat er einen gleichnamigen Comic gezeichnet und geschrieben, in dem er seine Vision erläutert. Darin verkündet er nicht weniger als eine Revolution, die, wie jede gute Revolution, etwas befreit. In diesem Falle den Comic von seiner Begrenzung, der Seite. Bisher mussten Comic-Zeichner sich an vorgegebene Druckformate halten. Extravaganzen waren, gerade für unabhängige Verlage, kaum denkbar. Damit ist jetzt Schluss. Nun gibt es die „unendliche Leinwand“ des Internets, den Hypertext, der Bilder auf allen möglichen Wegen miteinander verbindet: als Treppe, als Labyrinth, als Kreisel, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – es kann einem schwindelig werden.

McClouds Comic liest sich gelegentlich wie eine Werbe-Broschüre. Bekanntlich gibt es unterhaltsame Werbung und etwas nervige, weil sie zu plump daherkommt. McCloud bewegt sich genau dazwischen. Immer wieder gelingt ihm ein Bildwitz, der das Weiterlesen erleichtert, eine Pointe, über die sich sinnieren lässt, ein Gedanke, der klüger macht. Aber das Deklamatorische seiner Argumentation und die Rhetorik des Visionären strengen über 242 Seiten doch ein wenig an.

Sicher ist McCloud einer der Meister des Comic-Essays, er hat dieses Genre vielleicht sogar neu erfunden. Vor neun Jahren erschien sein Understanding Comics wie ein spätes Echo auf Marshall McLuhans Understanding Media. Es wurde nun bei Carlsen unglücklich als Comics richtig lesen übersetzt. Es war ein Comic über die Comics, ein Medium, das sich selbst erklärt. Die etwas simplen zeichentheoretischen Erklärungen wurden klug durch visuelle Strategien untergraben. So wurden auch eher fragwürdige Passagen ohne Ärger lesbar.

Eine überzeugende Strategie, die den Medienwechsel zwischen Comic und Computer umsetzt, fehlt in Comics neu erfinden. Die nahe liegende Kritik, McCloud hätte seine Vorstellungen im Netz präsentieren sollen, trifft das Problem nicht. Der Autor betont zu Recht, dass die alten Medien nicht ausgedient haben. Es komme vielmehr auf deren Nutzung an. Comics neu erfinden leis-tet aber keinen Beitrag zur Weiterentwicklung der Comics. Besonders unangenehm wirkt sich des Zeichners Freude zur Vereinfachung aus: Er verwendet Icons, die er arbeitsökonomisch identisch über die Panels verteilen konnte, denen aber selten ein inhaltlicher Mehrwert eignet. Kapitalismus beispielsweise ist ihm das Dollarzeichen als Schlange, die Ideen, nicht aber den Mehrwert aus produktiver Arbeit frisst.

Solcher Idealismus zeigt Scott McClouds argumentative Grenzen an: „Die künstlerischen Ideen werden ihre Bindung an die alten Medien abstreifen, sodass endlich ihr wahres Wesen hervortreten kann... Der Comic ist so eine Idee und er wird schon bald seine historischen Beschränkungen überwinden.“ McClouds Vision kann die historischen, ökonomischen und ästhetischen Bedingungen der Comic-Produktion nicht erfassen, aus denen sich doch erst deren Überschreitung denken lässt.

Wenn der Übersetzer Jens Balzer im Vorwort anmerkt, die Befreiung des Comics aus den Zwängen der Literatur sei hier materialistisch argumentiert, dann ist das nur die halbe Wahrheit. McCloud stellt zwar ausführlich die Geschichte der Comics und der Computer der letzten 30 Jahre in anregender Form dar, aber eben nicht als Diskurs-, sondern als Ideengeschichte.

Seiner Vision haftet deshalb etwas seltsam Lächerliches an. Er argumentiert nicht für eine Revolu-tion der bestehenden Verhältnisse, sondern die Anpassung eines Mediums an neue Umstände. Durch sein Bedürfnis, Comics überzeitlich zu definieren, als Einheit von den Höhlenmalereien bis zu den Web-Comics, verschenkt er die Möglichkeit, gerade in den historischen Differenzen zwischen den Formen ein Potenzial der Comics zu erkennen: die gesellschaftlichen Verhältnisse so zu reflektieren, dass sich diese und nicht nur die Comics verändern.

Scott McCloud, Comics neu erfinden, Carlsen, 242 S., 20 Euro