Die Häuser der Muslime brennen

Bei den schweren Gewalttätigkeiten zwischen Hindus und Muslimen im indischen Bundesstaat Gujerat sind inzwischen wahrscheinlich weit über 200 Menschen ums Leben gekommen. Armee und Polizei griffen viel zu spät ein

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Die Unruhen im westindischen Bundesstaat Gujerat haben auch am dritten Tag mit unverminderter Heftigkeit angehalten. Die Zahl der Toten belief sich am Freitagabend auf 136, wobei die 58 Hindus nicht mitgerechnet sind, deren Tod in einem Eisenbahnzug die Ausschreitungen ausgelöst hatte. Inoffizielle Angaben gehen aber von viel höheren Opferzahlen aus. Ein Polizeioffizier erklärte einem Fernsehreporter, dass allein in Ahmedabad weit über 200 Menschen ums Leben kamen. Trotz beruhigenden Äußerungen des Regierungschefs von Gujerat am Donnerstagabend kam es in der Nacht zu weiteren gezielten Angriffen auf Häuser von Muslimen.

Darauf begannen sich die Muslime gestern zu organisieren und lieferten den Banden der Hindus auf engstem Raum blutige Kämpfe. Die Opfer waren meist unschuldige Menschen, so etwa eine Muslimfamilie, die in der Vorstadt Narora mit ihrem Auto flüchten wollte. Sie wurde von einer Bande von Jugendlichen aufgehalten, die die Türen mit Eisendraht zuschnürte und das Fahrzeug in Brand steckte.

Der Künstler Haku Schah, der in einem Mittelklasseviertel wohnt, berichtete, bei einem Rundgang am Freitagnachmittag habe er in einem Radius von einem Kilometer zwanzig brennende Gebäude und zwei Moscheen gezählt. Eine von diesen war keine fünfzig Meter von einer Polizeistation entfernt.

Die Lage in Ahmedabad beruhigte sich erst, als am späten Freitagnachmittag die lange erwarteten Armeeeinheiten in den Straßen zu patrouillieren begannen. Dasselbe galt für die Großstädte Baroda, Surat und Rajkot. Eine Militäreinheit war per Zug auch in der Stadt Dodhra eingetroffen, in welcher die Gewalt begonnen hatte. Für Journalisten und die Polizei war es unmöglich, die Stadt auf der Straße von Baroda aus zu erreichen. Eine Journalistin berichtete, alle paar Kilometer hätten Vertreter von einer der beiden Religionsgemeinschaften Straßensperren errichtet, und wer nicht den richtigen Religionsausweis habe, komme nicht weiter.

Auf den fünfzig Kilometern zwischen beiden Städten gebe es kein Dorf, in dem Häuser und Hütten verschont geblieben wären, und über zwanzig Fabriken und Hotels seien eingeäschert worden.

Angesichts solcher Berichte klingen die Versicherungen des Regierungschefs Narendra Modi wenig glaubwürdig, der erklärte, von den 242 Städten des Bundesstaats seien nur 21 betroffen. Modi, ein Mitglied der BJP und des Hindu-Kaderverbands RSS, hatte bereits zuvor mit zweideutigen Erklärungen die Anti-Muslime-Stimmung angeheizt. Bei seinem ersten Medienauftritt zeigte er Verständnis für den „berechtigten Zorn“ der Hindu-Mehrheit im Staat.

Das verspätete Eingreifen der Armee und vor allem die passive Rolle der Polizei geraten immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik. Der ehemalige Kongressabgeordnete Ahsan Jafri soll am Donnerstag stundenlang verzweifelt versucht haben, die Polizei auf die bedrohliche Situation in seiner Wohnkolonie aufmerksam zu machen. Sie traf erst ein, als die Häuser lichterloh brannten. Fünfzig ihrer Bewohner kamen ums Leben, darunter der Abgeordnete und zwanzig seiner Familienangehörigen.

Kritik muss sich auch die Regierung in Delhi gefallen lassen. Im Parlament forderten Oppositionspolitiker Premierminister Atal Bihari Vajpayee zum Rücktritt auf.