Sie und wir

Bartolo Panjoj ist einer der wenigen Mayabürgermeister in Guatemala. Die Kultur der Mestizen, die auch heute noch das Land beherrschen, lehnt er ab. Und doch ist sie längst ein Teil von ihm. Ein Portrait

von TONI KEPPELER

Bartolo Panjoj spricht leise. Sehr freundlich und sehr zurückhaltend. Jedem Satz folgt ein fragendes „Aha“. So als müsse er sich eines Einverständnisses versichern. Das ist nicht immer einfach. Zwar ist es leicht zu verstehen, was er sagt. Doch von da aus ist es noch ein weiter Weg, zu begreifen, was er meint.

Panjoj spricht ein einfaches Spanisch. Aber er denkt in Kaqchikel, einer rund um den Atitlánsee in Guatemala gesprochenen Mayasprache. Er verwendet Wörter aus der Sprache der einstigen Kolonialmacht und ordnet sie nach der Erfahrung der Kolonisierten. Dabei kommen Sätze jenseits gewohnter Denkmuster heraus. Für Panjoj sind diese Sätze selbstverständlich. Er sagt sie ganz einfach. Und es folgt ein „Aha“, mit dem er sich versichert: „Du hast doch begriffen, oder?“

Bartolo Panjoj ist überzeugt von dem, was er sagt. So sehr, dass er sich schon zwei Jahre vor dem Ende des guatemaltekischen Bürgerkriegs traute, Indígena-Bürgermeister der Stadt Sololá zu werden. Ende 1993 wurde er nach altem Ritus gewählt: Zunächst als Repräsentant des Weilers Xajaxac, einer Streusiedlung nahe der Straße, die vom Atitlánsee nach Guatemala-Stadt führt. Dort ist er geboren und aufgewachsen. Dort lebt er in einem kleinen Lehmziegelhäuschen mit Wellblechdach, das mitten auf seinem Maisfeld steht. Die Indígenas von Xajaxac wollten, dass er ihr Repräsentant wird, weil er schon lange in der Landarbeitergewerkschaft CUC organisiert war und weil er drei Mayasprachen und auch Spanisch spricht.

Die Repräsentanten der Teilgemeinden wählten dann unter sich ihn als Bürgermeister. Alle anderen bekamen einen Posten im Gemeinderat. Kein Weiler sollte übergangen werden. So war das bis 1901. Bis zu diesem Jahr wurde Sololá von Indígenas regiert. Erst dann übernahmen auf Befehl der Regierung in Guatemala-Stadt die Mestizen die Macht. In Sololá machen sie keine fünf Prozent der Bevölkerung aus. Trotzdem stellten sie auch noch 1994, als Panjoj seine dreijährige Amtsperiode als Indígenabürgermeister antrat, den offiziellen Bürgermeister. Doch die mehr als 95 Prozent Indígenas kamen, wenn sie Probleme hatten, von da an nur noch zur Mayaautorität.

Bei der Wahl von 1997 gewannen die Indígenas auch das von der Regierung anerkannte Amt, und seither ist alles viel einfacher. „Der Mayabürgermeister und sein Rat sind das Gehirn“, sagt Panjoj. „Der offizielle Bürgermeister ist ihr Werkzeug. Er nutzt ihnen, weil er Geld von der Regierung bekommt.“ Solange der offizielle Bürgermeister ein Mestize war, konnte man ihn nur ignorieren.

Mestizen nennt man in Zentralamerika „Ladinos“. Sie sind das Ergebnis dessen, was im offiziellen Spanien heute noch immer schönfärberisch „die Begegnung zweier Kulturen“ genannt wird. In Guatemala stellen sie rund dreißig Prozent der Bevölkerung. Direkte Nachfahren von Weißen sind nur knapp fünf Prozent. Weil die aber bei der Eroberung verfügten, dass Indígenas allenfalls Menschen zweiter Klasse sein können, wollen die Ladinos Weiße sein und nicht Maya. Und eben weil sie ihre indianischen Anteile am liebsten vergessen würden, sind sie in aller Regel noch viel größere Rassisten als die Spanischstämmigen.

Doch nicht nur die Ladinos ziehen eine klare Grenze zwischen sich und den Maya. Auch Panjoj tut es. Er spricht vom „Volk der Ladinos“, als habe das mit „den Völkern der Maya“ nichts zu tun. Wenn er von ihnen spricht, bleibt seine Stimme freundlich. Aber aus seinen Sätzen spricht Verachtung. „Die Ladinos nennen uns Analphabeten“, sagt er. „Wir sprechen zwei oder drei Sprachen, um uns zu verständigen, und viele können auch noch Spanisch. Wir können mit den Zahlen der Ladinos rechnen und mit unseren eigenen. Aber sie schließen sich ein in ihrer eigenen Sprache. Wenn sie von ‚zweisprachig‘ reden, dann meinen sie Spanisch und Englisch. In Bezug auf unsere Kultur aber sind sie völlige Analphabeten.“

Wäre Panjoj kein so freundlicher Mensch, würde er sagen: Das sind doch alles Ignoranten. So aber sagt er: „Wir könnten viel besser zusammenleben, wenn sie sich darum bemühen würden. Aber sie wollen es nicht. Das ist schade. Aber es ist ihre Schuld.“ In Panjojs Sicht der Geschichte waren die Ladinos immer schuld. Auch am Bürgerkrieg, der für ihn kein Krieg war, sondern „die Zeit der Gewalt“. Denn prinzipiell hat sich für ihn, den Maya, nichts verändert.

Schon vor dem Krieg waren die Indígenas unterdrückt, und auch jetzt sind sie es immer noch. Bis in die Dreißigerjahre hinein galt in Sololá eine Stadtverordnung, die festlegte, dass Indígenamänner die Frau des Ladinobürgermeisters und ihre Freundinnen auf den Schultern tragen mussten, wenn diese die Stadt verlassen wollten. Dokumente bezeugen, dass sich die Damen bis ins siebzig Kilometer entfernte Quetzaltenango schleppen ließen. Als die Verordnung aufgehoben wurde, gab es noch immer Gesetze „gegen die Landstreicherei“, mit denen tausende von Indígenas zu Zwangsarbeit auf den Feldern der Ladinos und den Plantagen der internationalen Fruchtkonzerne gezwungen wurden. Und auch jetzt, nach dem Krieg, leben mehr als zwei Drittel der Maya unterhalb der Armutsgrenze.

Auch der Krieg selbst (1960 bis 1996) war nicht ihr Krieg, sondern der Krieg der Ladinos. Guerillakommandanten aus der städtischen Mittelschicht kämpften gegen Großgrundbesitzer auf dem Land. Die Maya stellten nur die Opfer. Mehr als achtzig Prozent der zweihunderttausend Toten des Kriegs waren Indígenas. Und oft genug wurden sie von ihren eigenen Leuten massakriert. Zwangsrekrutierte Maya in der Armee metzelten ganze Mayadörfer nieder, um der von Ladinos geführten Guerilla den Boden zu entziehen. Auch in dem rein indianischen Weiler Xajaxac gab es 1982 ein Massaker mit sechzig Toten. Panjoj weiß nicht, warum. Es kam einfach über sie. Es war die „Zeit der Gewalt“.

Panjoj stand irgendwo zwischen den Fronten. Am Anfang des Kriegs war er Händler gewesen in der Hafenstadt San José. Zusammen mit seinem Vetter kaufte er Waren von den Schiffen und verkaufte sie später in der Hauptstadt. Er war einer der Sprecher der Vereinigung der Kleinhändler. 1981 hat er sein Geschäft aufgegeben. „Es gab Probleme mit dem Zoll. Sie wollten zu viele Bestechungsgelder haben, und wir haben protestiert. Mein Vetter wurde ermordet. Da bin ich geflohen.“ Er kehrte zurück nach Xajaxac, bebaute sein Feld und organisierte sich in der Landarbeitergewerkschaft CUC. So gesehen war er für die antikommunistische Militärregierung ein Subversiver.

Aber Panjoj war in Xajaxac auch in den „Patrouillen zur zivilen Selbstverteidigung“ organisiert, einer fast ausschließlich aus Maya bestehenden paramilitärischen Hilfstruppe der Armee, die für Spitzeldienste und als Todesschwadron eingesetzt wurde. Als Gewerkschafter wurde er einmal verhaftet und in eine Kaserne gebracht. Damals war das so gut wie ein Todesurteil. Doch Panjoj kam nach drei Tagen wieder frei. Seine Freunde von der Zivilpatrouille hatten sich für ihn eingesetzt und versichert, er sei einer der Ihren.

Er erzählt diese Geschichte so, als sei es völlig normal, dass einer gleichzeitig auf beiden Seiten der Front steht, weil der Konflikt, der da ausgefochten wird, nicht seiner ist. Für ihn war der Krieg nur absurde Gewalt. Ladinos tragen so ihre Konflikte aus. Die Indígenas wissen das seit Jahrhunderten. Doch die Maya sind längst davon infiziert. Seit dem Ende des Bürgerkriegs gab es in ihren Gemeinden weit über hundert Lynchmorde. „Das ist kein Mayarecht“, wehrt Panjoj ab. Das Recht der Maya suche Ausgleich und Einverständnis. Aber er distanziert sich nicht von der Gewalt. „Die Lynchmorde sind eine Anklage des Volks gegen die Autoritäten, die für Recht und Gerechtigkeit sorgen sollen und es nicht tun.“

Gewalt und das Recht der Maya widersprechen sich. Doch Panjoj sieht diesen Widerspruch nicht, weil er längst Teil seiner selbst geworden ist. Was ist heute noch authentische Mayakultur? Nicht einmal die von Touristen so geschätzten farbenfrohen Trachten sind es. „Sie wurden uns von den Ladinos aufgezwungen, damit sie die einzelnen Völker unterscheiden können.“ Panjoj lebt täglich mit diesem Zwang, der längst keiner mehr ist. Er trägt die Tracht der Kaqchikel: einen weißen Sombrero, eine reich bestickte braune Wolljacke, ein in Rottönen gestreiftes Hemd und eine noch viel bunter gestreifte wadenlange Hose. Um die Hüfte geschlungen hat er ein braun kariertes Wolltuch.

Er gibt zu, dass diese Schürze keinen praktischen Nutzen hat und bei der Feldarbeit eher hinderlich ist. Trotzdem legt er sie jeden Tag an. „Ich würde mich nackt fühlen ohne das Tuch“, sagt er. „Und die anderen würden denken, ich sei nicht ganz richtig im Kopf.“

TONI KEPPELER, 45, versteht keine einzige Mayasprache. Aber er beherrscht die Grundlagen der Mayamathematik. Nachdem er viele Jahre für die taz aus Zentralamerika berichtet hatte, wechselte er Anfang 2002 zum schweizerischen Magazin Facts . Wir wünschen ihm für seine neue Tätigkeit alles Gute