Streit über die Todesstrafe

Das türkische Militär und die rechte MHP wollen an der Höchststrafe festhalten. Premier Ecevit versucht einer Abschaffung den Weg zu ebnen – per Referendum

ISTANBUL taz ■ „Es erscheint mir verfrüht, die Todesstrafe abzuschaffen. Die Türkei sollte eine solche Entscheidung nicht überstürzen“. Normalerweise wäre die öffentliche Stellungnahme des stellvertretenden Generalstabschef das Ende der Diskussion. Doch in diesen Tagen muss selbst Yasar Büyükanit, der zweithöchste Militär der Türkei feststellen, dass auch die mächtigste Institution des Landes nicht mehr einfach ein Ende der Debatte befehlen kann. Seit Tagen wird zwischen den Parteien heftig gestritten, ob die Todesstrafe, die seit 1984 nicht mehr vollstreckt worden ist, jetzt endgültig abgeschafft werden soll. Als eine Möglichkeit, zu einer Entscheidung zu kommen, denkt Ministerpräsident Bülent Ecevit über eine Volksbefragung nach.

Die vollständige Abschaffung der Todestrafe, das hatte EU-Kommissar Günter Verheugen bei seinem jüngsten Besuch in Ankara klar gemacht, bleibt eine zwingende Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und Brüssel. Da die türkische Regierung auf einenTermin für den Verhandlungsbeginn drängt, sollen bis Ende 2002 alle Voraussetzungen für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen erfüllt sein. Während Ecevit und der Chef der kleineren Koalitionspartei Anap, Mesut Yilmaz, deshalb eine entsprechende Änderung des Strafgesetzbuches ins Parlament bringen wollen, ist die rechtsradikale, postfaschistische MHP dagegen. MHP-Chef Bahceli sieht das Thema als gute Gelegenheit, seiner Basis erneut seine rechte Gesinnung zeigen zu können und geht davon aus, dass er mit Unterstützung der Militärs seinen Kurs durchsetzen wird.

Ecevit hat bei der Opposition vorfühlen lassen, ohne klare Antworten zu bekommen. Einzig die Chefin der DYP, Tansu Ciller, erklärte: Wir werden dafür stimmen, wenn vorher Abdullah Öcalan hingerichtet wird. Damit hat sie Ecevits Problem ausgesprochen: Die Debatte über die Todesstrafe ist immer noch für die meisten Türken eine Entscheidung über Apo und die PKK.

Auch Vizegeneralstabschef Büyükanit führte als Argument für die Beibehaltung der Todesstrafe den „anhaltenden Kampf gegen den Terrorismus“ an. Die Rachsucht der Nationalisten brachte der MHP-Mann und Parlamentspräsident Ömer Izgi zum Ausdruck, als er eine politische Rolle, auch für eine gewaltlose PKK, ablehnte. Das sei ein neuer Trick, wie Öcalan mit Hilfe der EU die Türkei spalten wolle.

Bei der heutigen Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates, dem de facto höchsten Entscheidungsgremium im politischen Leben der Türkei, wollen Ecevit und Yilmaz einen Plan vorlegen, in welchen Schritten sie sich die Abschaffung der Todesstrafe vorstellen. Dabei spielt die Idee einer Volksbefragung eine Schlüsselrolle. Da eine breite Mehrheit in der Bevölkerung für einen EU-Beitritt ist, hofft Ecevit auf die Zustimmung für die Abschaffung der Todesstrafe. Damit könnte er seinen Koalitionspartner und das Militär unter Druck setzen. Stimmt eine Mehrheit dagegen, hat man gegenüber Brüssel ein Argument, die Entscheidung zu verschieben. JÜRGEN GOTTSCHLICH