Opfer, weil nicht selbstbestimmt

■ Der Film „Otra Via“ öffnet einen neuen Blick auf migrierte SexarbeiterInnen

Der Blick aus dem Zugfenster gibt eine belanglose Landschaft preis. Aus dem Off erzählt eine Frau über ihre Einreise nach Deutschland. Sie seien sechs Frauen gewesen, berichtet sie. Die ganze Nacht über seien sie unbehelligt geblieben. Doch kurz vor Ankunft habe der Schaffner Sex für sein Schweigen verlangt. Eine von ihnen habe den Wegezoll bezahlen müssen – sexuelle Nötigung ist der Preis für den unerlaubten Grenzüberschritt.

Die Frauen kommen nach Deutschland, um sich hier zu pros-tituieren. Ausweglose Situationen in den Heimatländern bringen sie zu dieser Wahl. Sie entschließen sich freiwillig, in der Sexindustrie zu arbeiten. Die Prostitution an sich ist daher nicht zwangsläufig ihr Problem. Was sie jedoch der Gewalt ausliefert, ist ihre Rechtlosigkeit. Wer illegal ist, steckt in Zwangsmühlen. Wer den Anderen Weg wählt, ist rechtlich isoliert. Schlechte Arbeitsbedingungen und Polizeirazzien sind drohende Gefahren. Wer hier bleiben will, kann sich nur im Privaten wehren. Die eigene Situation findet jenseits der Öffentlichkeit statt.

Es sind diese Bedingungen, die Otra Via – Ein anderer Weg reflektiert. Indem der Film des FrauenLesbenFilmkollektivs Berlin migrierte SexarbeiterInnen selbst zu Wort kommen lässt, verschiebt er grassierende Bilder. Er entdeckt einen Zwischenraum, der die meisten Prostituierten betrifft. Mindestens 50 Prozent aller SexarbeiterInnen sind nach Deutschland eingewandert. Nach offiziellen Schätzungen sind über 200.000 MigrantInnen in diesem Gewerbe tätig.

Doch es gibt Unterschiede: Deutsche Huren werden mittlerweile in der öffentlichen Meinung als selbstbestimmt und selbstbewusst verhandelt. Migrationspros-titution wird dagegen oftmals mit Menschenhandel gleichgesetzt. Das Bild der verschleppten und misshandelten Sexsklavinnen verdeckt allerdings, dass migrierte Prostituierte mehrheitlich aus freien Stücken kommen. Für sie bedeuten Polizeirazzien keinesfalls Befreiung, sondern Demütigung und Abschiebung. Wenn Bordelle und Modellwohnungen polizeilich gestürmt werden, dient das folglich nicht immer dem Wohl der betroffenen Prostituierten. Vielmehr, dies zeigen die Erzählungen der SexarbeiterInnen in Otra Via, entmachten solche Razzien und sind angsteinflößend. Eine Frau berichtet zum Beispiel, sie sei bei einer Razzia vom Balkon gefallen. Danach musste sie unzählige Operationen über sich ergehen lassen. Jetzt hat sie ein verkürztes Bein.

Eine andere Sexarbeiterin schildert, dass Frauen bei Razzien in Lüftungsschächte und Nachbarwohnungen flüchten. Die SexarbeiterInnen in Otra Via sind starke Persönlichkeiten. Sie sind nicht Opfer, nur weil sie sich prostituieren. Vielmehr sind sie einem Migrationsregime unterworfen, dem sie mit List zu entkommen trachten. Reguliert werden soll, wer hier arbeiten darf. Dabei wäre es einfach, ihre Situation zu verbessern und so etwa den Menschenhandel zu unterbinden: Wäre Prostitution eine anerkannte Arbeit, könnten SexarbeiterInnen ihre Preise selbst festlegen, gesundheitliche Vorsorge betreiben und könnten Misshandlungen ohne Angst anzeigen. In Otra Via sind die Frauen Opfer, weil sie ihre Bedingungen nicht bestimmen können. Die Green Card für Prostituierte wäre ein gutes Ziel. Doro Wiese

Otra Via – Ein anderer Weg. MigrantInnen in der Sexarbeit: Sonntag, 24. 2., 13 Uhr, 3001