„Der Begriff des Herumlungerns ist diskriminierend“

Bahnhöfe sind öffentliche Räume, findet der Verwaltungsjurist Wolfgang Hecker und fordert deshalb von der Bahn, ihre Konzepte zu überdenken

taz: Sie haben in einem Rechtsgutachten im Auftrag der „Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe“ untersucht, inwieweit der Bahnhof öffentlicher Raum ist. Zu welchem Ergebnis sind Sie denn gekommen?

Wolfgang Hecker: Der Bahnhof ist in weiten Teilen öffentlicher Raum. Er unterscheidet sich zwar vom öffentlichen Raum im Sinne der Straßengesetze, denn hier spricht man vom Gemeingebrauch, der es mir erlaubt, mich erlaubnisfrei aufzuhalten und zu verhalten, wie ich will – solange ich andere nicht belästige. Beim Bahnhof geht der Gemeingebrauch nicht ganz so weit. Das Ergebnis des Gutachtens hat allerdings gezeigt, dass sich aus der rechtlichen Stellung des Bahnhofs ein allgemeines Zugangs- und Aufenthaltsrecht zu den Bahnhöfen ergibt. Nur bei den Verhaltensweisen sind stärke Einschränkungen möglich.

Wer keinen Reisezweck verfolgt, hat auf den Bahnhöfen nichts zu suchen, sagt die Bahn.

Die Bahnhöfe sind natürlich in erster Linie durch den Reisezweck geprägt. Aber schon der Reisezweck, an den die Bahn rechtlich gebunden ist, schließt für die Reisenden ein Aufenthaltsrecht ein. Denn man rennt ja nicht durch den Bahnhof zum Zug und hält sich ansonsten dort nicht auf.

Welche rechtlichen Konsequenzen kann man denn aus dem Gutachten ziehen?

Es gibt einige Ansatzpunkte, bei denen man die rechtliche Zulässigkeit in Frage stellen kann. Das ist zum Beispiel das Verbot des Herumlungerns in der Hausordnung der Bahn AG. Ich halte die Formulierung für nicht hinreichend bestimmt. Außerdem weist sie inhaltlich diskriminierende Züge auf. Gerade hinsichtlich der Rechtstradition wurde der Begriff des Herumlungerns immer in Verbindung mit Zigeunerwesen und Herumtreiberei benutzt.

Der Bahn ist das Gutachten relativ egal. Ihr Sprecher betonte gegenüber der taz ganz deutlich das Recht, eine Hausordnung aufzustellen.

Die Bahn hat natürlich einen relativ weiten Ermessensspielraum, viel entscheidet sich in der Anwendungspraxis. Denn wer die Hausordnung gestaltet, bestimmt erst einmal den Alltag. Es ist aber wichtig, dass mit dem Rechtsgutachten der Bahnhof als öffentlicher Raum noch einmal betont worden ist. Denn damit muss sich die Bahn jenseits der rechtlichen Ebene – nämlich in der öffentlichen Diskussion – über ihre Positionierung Gedanken machen.

INTERVIEW: SUSANNE AMANN