Glamour, Girls, gesprengte Ketten

„Ich könnte blau sein und eine Ziege und würde trotzdem Heavy Metal spielen“: Heute zeigen Kittie aus Kanada im SO 36 mit mystischen Texten, Gesang in erstaunlich tiefer Stimmlage und Gitarrenbombast das Besondere im Selbstverständlichen

von JULIE MIESS

Unter einer Heavy-Metal-Band stellt man sich ausgewachsene Männer wie die Musiker von Metallica und Slayer vor. Ihre Konzerte werden von ebenso männlichen Fans besucht, die sich hinterher auf ihr Motorrad setzen und zurück in ihr Einfamilienhaus nach Spandau fahren, um dort die Jeanskutte an die Wand zu hängen oder von ihrer Frau mit neuen Aufnähern besticken zu lassen. Doch diese Idylle wird bedroht: Kittie, schöne 16-jährige Mädchen aus Kanada, haben ihre Seele dem Death Metal verschrieben. Auf ihrem zweiten Album „Oracle“ findet sich das ganze Arsenal dieser Unterart des Heavy Metal: mystische Texte, Gesang in erstaunlich tiefer Stimmlage und Gitarrenbombast, der seit dem Debüt „Spit“ noch opulenter geworden ist.

1996, noch vor ihrer High-School-Zeit, haben Gitarristin und Sängerin Morgan Landers, ihre Schwester Mercedes, die Schlagzeug spielt, die Bassistin Talena Atfield und Fallon Bowman, heute nicht mehr dabei, angefangen, gemeinsam Hits von Nirvana und Silverchair nachzuspielen. „Wir hatten einfach genug davon, auszusehen wie alle anderen. Wir wollten etwas Besonderes machen“, äußern sie in ihrer Biografie. Heavy Metal, besonders aber Death Metal mit seinen okkulten Themen, ist im Spiel mit der Symbolik des Bösen eine ideale Form zur Grenzüberschreitung, für Musiker und Fans gleichermaßen. Mit ihrem Wunsch nach Auflehnung gegen die Ordnung sind Kittie also einerseits ganz normale Teenies, so durchschnittlich wie der eher konservative Metaller, der in der Musik nach Ausgleich sucht. Andererseits aber sind sie Mädchen in einer Jungsdomäne, die auf Sub-Labels von Sony zwei LPs und eine EP veröffentlicht haben und zum zweiten Mal auf Welttournee sind. „All das passiert ganz selbstverständlich“, kommentiert Morgan das, was sich aus dem Wunsch nach dem Besonderen ergeben hat.

Dabei ist Kitties Erfolg gerade keine Selbstverständlichkeit. Ein viel größerer Tabubruch als das musikalische Spiel mit der Finsternis ist, dass drei junge Mädchen eine Subkultur entern, in der Frauen eher barbusig auf Plattencovern auftauchen und Fans und Akteure immer noch größtenteils Männer sind. Und dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um Death, Speed oder Doom Metal handelt. Die Acts, die Kittie als Einfluss nennen, sind nicht die Musikerinnen von Girlschool oder eine begnadete Bassistin wie Joan Jett, sondern Pantera oder Fear Factory. Guy Bands, die nicht als solche bezeichnet werden, wie Kittie, die genervt sind über die Frage nach der Zusammenarbeit in einer All-Girl-Metalband, in Interviews zu bedenken geben.

Auch Sonderausgaben zum Thema „Women in Rock“ wie die des Magazins Metal Edge betrachten Kittie als ausgrenzend. Morgan: „Ich könnte blau sein und eine Ziege und würde trotzdem Heavy Metal spielen.“ Welche außergewöhnliche Position sie tatsächlich beziehen, ist Kittie gar nicht bewusst, ebenso wenig, dass „Woman in Rock-Issues“ reale Ausgrenzung öffentlich machen und nicht erzeugen. Eine Frau, die in einer Metalband spielt, und zwar nicht als Sängerin wie in den Achtzigerjahren Doro Pesch bei Warlock, sondern als Leadgitarristin, ist eben immer noch so wenig alltäglich wie die Rolle einer brutalen Detektivin oder einer Serienkillerin.