dieter baumann (37), 5.000-m-Olympiasieger, zurzeit in Kenia
: Von Nyahururu nach Nakuru

Der Mountainbiker und die Kuh: Trainingslager in Kenia sind mehr als nur Laufen

Auf der Fahrt von Nyahururu nach Nakuru sah ich den ersten kenianischen Mountainbiker meines Lebens. Es war ein überraschender, großartiger, aber auch bizarrer Anblick. Wie er im Regenbogentrikot und mit Helm auf der von Schlaglöchern übersäten Straße an Eselkarren vorbeikurvte. Wie er bei Überholmanövern in den schwarzen Rußwolken der Lkws verschwand, um in atemberaubendem Tempo bald darauf wieder aufzutauchen. Ich blinzelte in die Sonne: Was war denn das? Hatte ich die Zukunft des kenianischen Sports gesehen?

Wie schon so oft habe ich in diesem Februar mein Trainingscamp in Nyahururu aufgeschlagen. „Nyahururu“, „fallendes Wasser“, heißt so wegen des am Ortsrand gelegenen Wasserfalls.

Trainingslager in Afrika sind immer mehr als Laufen. Jetzt war ich auf dem Weg nach Nakuru. Das ist ein relativ großer Ort am Rande des Lake Nakuru National Park zwischen Nairobi und Eldoret, im Hochland Kenias. Laban Chege hatte mich eingeladen, ein bei deutschen Straßenläufen sehr erfolgreicher Athlet. Es ist nur eine Stunde Wegstrecke von Nyahururu nach Nakuru. Sie führt entlang an unzähligen Tee- oder Kaffeeplantagen, vorbei an fruchtbaren Maisfeldern. Mein erster Eindruck: Die Natur platzt aus allen Nähten. Die Menschen entlang der Straße wirken recht zufrieden, obwohl es heiß ist und sie mit schweren Lasten beladen sind. Kilometerlange Wegstrecken legen sie so täglich zurück. Das wird ja in Europa gern als Grund für die Dominanz der kenianischen Leichtathleten auf Mittel- und Langstrecken genannt. Die Wahrheit ist: Sie tun es längst nicht immer, wie es die weiße Folklore gern berichtet, gehend oder laufend. Nein, das Fahrrad wird immer mehr zum Fortbewegungsmittel Nummer eins. Das ist mein zweiter Eindruck. Auf allen möglichen und unmöglichen Wegen, natürlich auch auf den Straßen, radeln sie – bergauf und bergab. Meistens ohne Gangschaltung und auch ohne eine Federung in der Vordergabel. Meist mit Bremsen, die noch von oben durch das Schutzblech durch mit einem dicken Gummi direkt auf den Reifen einwirken.

Im Vergleich mit dem, was ich vor einigen Jahren sah, ist das Fortschritt auf allen Ebenen. Selbst die ersten Rennräder habe ich in diesem Jahr entdeckt. Hatte der dänische Statistikprofessor Björn Lomborg mit seiner These Recht? Auf dem Flug nach Afrika hatte ich in einem Interview im Spiegel gelesen, dass nach seiner Berechnung in den letzten 30 Jahren die Zahl der hungernden Menschen in Afrika von 35 auf 18 Prozent zurückgegangen sei. Bis 2030 soll sie sogar nur noch 6 Prozent betragen. Ist Afrika tatsächlich ein wachsender Gigant, mit abnehmender Armut und steigender Wirtschaftskraft? Andererseits stand in Nation, einer der größten Zeitungen Kenias, dass in Nairobi 40.000 Kinder auf der Straße leben. Nicht mitgerechnet die tausende von Kindern, die gar nicht registriert sind. Und natürlich nicht diejenigen, die über das ganze Land verstreut leben. So viel zur Aussagekraft akademischer Statistiken.

In Nakuru fragte ich Laban Chege, wie er die Sache sieht. Er führte mich zu seinen Feldern und sagte: „Im Dezember hat es richtig viel geregnet, zum ersten Mal seit Jahren.“ Deshalb sei trotz der großen Hitze jetzt noch alles weitgehend grün. Deshalb lieferten die Felder genug, zumindest für den Eigenbedarf. Wohlgemerkt: Ich befand mich im Haus eines erfolgreichen Läufers. Keiner aus der allerersten Reihe der kenianischen Weltklasselaufprofis. Aber es gab kaum einen Citylauf in Europa, bei dem er nicht auf einem Podestplatz gelandet wäre. Ein wohlhabender Mann? Weit gefehlt. Laben Chege genügte der Beruf Laufprofi allein nicht mehr. Seine Verantwortung erstreckt sich nicht nur auf seine drei Kinder, sondern auch auf seine Eltern und Brüder.

Chege erzählte mir, dass er inzwischen einer zweiten, geregelten Arbeit nachgehe. „Wo arbeitest du?“, fragte ich. Er antwortete: „Bei Telekom Kenia.“ Das erinnerte mich irgendwie an Team Telekom. Plötzlich sah ich vor meinem geistigen Auge den Mountainbiker vorbeirasen. Er trug jetzt ein gelbes Trikot und hatte sich in den Führenden der Tour de France verwandelt. Dann zeigte mir Chege seine Kuh und sagte beiläufig, dass er sie in diesem Jahr zum ersten Mal mit Mais füttern könne. Da wusste ich: Bis Telekom Kenia einen eigenen Radstall finanziert, vergehen dann doch vielleicht noch mehr als 30 Jahre.

Fragen zu Laufen?kolumne@taz.de