Hauptsache oberflächlich

■ Sun-Rae Kims leere Körperhüllen in der Galerie Kramer sind persönliche Erinnerungsstücke, die die Phantasie anregen sollen

Kleider machen Leute. Aber was machen Kleider ohne Leute? Oder Hüllen ohne Inhalt? In der Galerie Kramer zeigt die koreanische Künstlerin Sun-Rae Kim in der Ausstellung „Mikrotope“ leere kokonähnliche Gegenstände, die verlassen wirken - bis der Betrachter selbst im imaginären Kopf-Kino die Leere mit einem Gesicht, einer Figur ausfüllt.

Eine zauberhafte Gestalt aus der Wasserwelt von gut 30 Zentimetern Größe mag da in den grünen, schuppenartigen Anzug passen, der im Schaukasten hängt.

Doch Sun-Rae Kims Kleidungsstücke sind weder aus Textilien, noch entstammen sie der Nähmaschine. Den Stoff, aus dem ihre Träume sind, liefert Reispapier - zumindest die Basis. Mit speziellem Leim erhärtet, formt die 35-Jährige dieses im Schwebezustand zwischen hart und weich zu einem mal lebensechtem, mal surreal verfremdeten Kleidungsstück. Oder zu Hüllen aus der Natur - von der Erbsenschote bis zu organischen Formen - im Miniaturformat.

Die Oberflächen der Gegenstände sind äußerst kleinteilig und zeugen von Kims Liebe zum Detail: Köpfe von Wattestäbchen für das 30 Zentimeter große Modell „Schneemann“, das an einen Eskimo erinnert, silberne Zuckerkugeln für ein Jackett, in dem sich Elvis Presley sicherlich wohlgefühlt hätte, oder dünne Klebebandröllchen in Honiggelb, zu hunderten aneinander gereiht formen sie den kleinen „Bienenmann“.

Der lässige Trenchcoat in Beige scheint zu Humphrey Bogart zu gehören, der sich in einem belebten Café mit an den Tisch setzt. Kleidung sei die zweite Haut des Menschen, so die Künstlerin. In ihren Objekten wird sie eher zur ersten, stellt für sie der Trenchcoat an sich doch die Haut dar, während seine roten Nähte für blutgefüllte Adern stehen. Jeder der circa 30 Zentimeter großen Mäntel symbolisiert eine andere Körperhaltung.

Mal drückt sich so Selbstbewusstsein, mal Schüchternheit oder Zurückhaltung aus - aber immer erwachsen vor dem inneren Auge ein plastisches Gesicht und ein Körper - obwohl Lebewesen in Sun-Rae Kims Arbeiten nicht vorkommen, sind sie doch allgegenwärtig. Ihre Motivation beschreibt sie daher auch mit der Sympathie für die Lebewesen.

„Das Äußere soll die Phantasie des Betrachters anregen, über das Innere nachzudenken“, so die 35-jährige Künstlerin, die in Seoul und Braunschweig Bildende Kunst studierte und im vergangenen Jahr als Barkenhoff-Stipendiatin in Worpswede arbeitete. Damit projiziert sie die gesellschaftliche Dimension in ihre Werke.

Sun-Rae Kim konserviert mit den Hüllen eigene Erinnerungen an Menschen. So stehen im Raum elf Paar Schuhe - allesamt plastische Kopien aus erhärtetem Reispapier, die sie in ihrem Bekanntenkreis gesammelt hat. Kleine Ballerinaschuhe von Kindern, Männerboots, und hochhackige Schuhe von Frauen. „In jedem steckt der Charakter des Trägers“, so Sun-Rae Kim. Es liegt eben in der Vorstellungskraft des Betrachters, die Hüllen mit Leben zu füllen. Da der Weg über die Kleidung führt, steht fest: Auch Kleider ohne Leute machen Menschen.

Sörre Wieck

Bis zum 24. März in der Galerie Kramer, Vor dem Steintor 46 (mittwochs bis freitags von 10 bis 18.30 Uhr, samstags von 10 bis 15 Uhr)