„Krieg wäre schlimmer als Strafverzicht“

Völkerrechtler Kai Ambos begrüßt das Den Haager Urteil als Chance zur Reform des „problematischen“ belgischen Gesetzes zur Verfolgung von Kriegsverbrechen: „Es muss Kontrollen geben, damit die Justiz nicht missbraucht wird“

taz: Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat den belgischen Haftbefehl gegen einen früheren kongolesischen Außenminister aufgehoben. Was bedeutet das Urteil für die internationale Verfolgung von Kriegsverbrechern?

Kai Ambos: Es bestätigt, dass für im Amt befindliche Regierungschefs und auch Außenminister eine zwischenstaatliche Verfolgung durch einen Drittstaat wie Belgien nicht zulässig ist, weil diese Immunität genießen.

Nach dem Weltrechtsprinzip, das im belgischen Strafgesetz genauso verankert ist wie im zukünftigen deutschen Völkerstrafgesetzbuch, können bestimmte Verbrechen durch nationale Gerichte verfolgt werden, ungeachtet der Nationalität von Tätern und Opfern. Wenn für Minister in menschenrechtsverletzenden Regierungen Immunität gilt, sind diese Gesetze dann nicht hinfällig?

Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch verweist in Fragen der Immunität von Regierungsmitgliedern auf das Völkergewohnheitsrecht. Genau das hat der IGH jetzt ausgelegt und insoweit ausgeweitet, als neben Staatschefs und Diplomaten nun auch Außenminister strafrechtliche Immunität in Drittstaaten genießen. Mehr nicht.

Aber das bedeutet doch, dass man juristisch überhaupt keine Handhabe gegen aktive Menschenrechtsverletzer in Regierungsämtern hat.

Im völkerrechtlichen Verständnis handelt ein Außenminister im Auftrag seines Staates und genießt als solcher Immunität. Wenn man das einschränkt, ist dieser Staat nicht mehr handlungsfähig, weil sein Außenminister etwa in Belgien verhaftet würde, deshalb natürlich nicht hinreist und insofern auch keine diplomatischen Beziehungen unterhalten kann. Die Grundidee ist, dass die Auswirkungen einer Strafverfolgung, etwa der Abbruch diplomatischer Beziehungen bis hin zu Krieg, womöglich schlimmer wären als der Verzicht auf die Strafverfolgung.

Die belgische Justiz hat das bislang ganz anders gesehen.

Die geht aber auch übers Ziel hinaus. Jeder Ankläger – siehe Fall Scharon – kann ein Verfahren anhängig machen und sogar einen Haftbefehl erwirken, mit dem Ergebnis, dass der Betroffene da nicht mehr hinkommt und die diplomatischen Beziehungen unterbrochen sind. Da muss es Kontrollen geben, damit die Justiz nicht missbraucht wird.

Die belgische Politik scheint das Urteil als willkommenen Anlass zu benutzen, das ungeliebte Gesetz endlich loszuwerden.

Es war schon vor dem Urteil klar, dass das Gesetz geändert werden sollte. Die sehr weite Auslegung des Weltrechtsprinzips, aber auch die Anwendung waren problematisch. Es gibt in Belgien keine letzte politische Instanz, die nationalen Interessen Vorrang vor der Strafverfolgung sichern könnte, so wie in Deutschland. Das wollen die Belgier ändern.

INTERVIEW: BERND PICKERT