streit um zuwanderung
: Lieber kein Gesetz als ein schlechtes

In Wahlkampfzeiten verbrüdern sich auch weltoffene, intelligente Politiker am liebsten mit ihren vernagelten und verängstigten Wählern. Die Folge: Ausländerfeindliche Stimmungen werden entfesselt, Übergriffe nehmen zu. Seit über zwanzig Jahren ist das so. Deshalb sollte, wer den inneren Frieden liebt, das Projekt Einwanderungsgesetz ganz schnell versenken. Verschieben, bis sich der Rauch der Bundestagswahl 2002 verzogen hat und aus wahlkämpfenden und populistischen Politikern wieder so etwas wie vernunftgesteuerte Menschen geworden sind.

kommentarvon EBERHARD SEIDEL

Nur auf den ersten Blick wären die Grünen, Unternehmerverbände, Kirchen, Sozialdemokraten und all die anderen, die ein solches Gesetz seit langem fordern, die Verlierer. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben – und wer seit Jahrzehnten dieses Reformprojekt diskutiert und will, der kann auch noch ein, zwei Jährchen warten. Denn so viel ist bereits heute sicher: Selbst eine künftige Regierung Edmund Stoiber müsste ein Einwanderungsgesetz verabschieden. Und das wäre mit Sicherheit liberaler als alles, was der Münchner derzeit fordert.

Jedes Gesetz, das bis zur Bundestagswahl am 22. September die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat, also auch der Union findet, kann nur ein restriktives und reaktionäres sein. In den kommenden Monaten werden sich auch SPD und Grüne nicht trauen, sich allzu offensiv zu den Erfordernissen einer modernen Einwanderungsgesellschaft zu bekennen, die Deutschland ja ist. Und gleichzeitig, wie die Union gestern bei ihrem Spitzengipfel wieder gezeigt hat, wird sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Woche für Woche neue deutschtümelnde Forderungen an Rot-Grün zu stellen, die erfüllt werden müssen, sollen sie dem Gesetz zustimmen.

Verlieren würden die Grünen und überzeugten Sozialdemokraten, die ein solches Gesetz nur um den Preis der Selbstaufgabe billigen könnten. Verlieren würden aber vor allem die alten und die neuen Einwanderer, auf deren Rücken einmal mehr die Schlacht um vermeintliche wahlentscheidende Prozentpunkte rechts der Mitte geschlagen würde.

Langsam schleicht sich ein „Deutsche Arbeitsplätze für Deutsche“-Duktus in die Politikerreden ein. Die Unterbrechung des Gesetzesvorhabens wäre deshalb ein Akt von Zivilcourage, dem sich auch die Anständigen unter den Christdemokraten und den Liberalen nicht verschließen sollten.