Ein Stück Osten für den Kanzler

Die SPD feilt an ihrer Wahlstrategie für Ostdeutschland: Darum wird es einen Ost-Parteitag geben – eine Sommerreise des Kanzlers in den Osten jedoch nicht. Was nützt es schon, freundlich zu sein, wenn die Arbeitslosenzahl trotzdem steigt?

aus Berlin JENS KÖNIG

Das nennt man gutesTiming. Einen Tag bevor die SPD verkündet, am 10. März den ersten reinen Ost-Parteitag ihrer Geschichte zu veranstalten, lässt der Vorsitzende dieser Partei in São Paulo mal eben so erklären, dass seine traditionelle Sommerreise nach Ostdeutschland in diesem Jahr ausfällt. Es sähe „zu sehr nach Wahlkampf“ aus, wenn er die Reise unmittelbar vor der Bundestagswahl anträte, sagt Gerhard Schröder.

Diese schlichte Nachricht aus Brasilien enthält gleich drei überraschende Botschaften. Die erste, offenkundige Botschaft: Die Reise findet nicht statt. Das wird man sich im Osten merken. Die zweite, interessante Botschaft: Der Kanzler will im Sommer offenbar alles vermeiden, was nach Wahlkampf aussieht. Das kann heiter werden. Die dritte, versteckte Botschaft: Schröder hat eingesehen, dass es keine Punkte bringt, mal eben nach Ostdeutschland zu fahren und freundlich zu sein, wenn hinterher die Arbeitslosigkeit doch wieder steigt. Diese Einsicht ist ja nicht die verkehrteste.

Weil das aber ein paar Botschaften zu viel sind für eine so kleine Meldung, versucht das Kanzleramt am Donnerstag, die Nachricht auf ihren puren Kern zu reduzieren. Das soll dem Ganzen etwas Selbstverständliches geben. Eine dritte Sommertour des Kanzlers nach Ostdeutschland sei von Anfang an nicht geplant gewesen, sagen Schröders Leute. Das heiße nicht, dass es keine Sommerreise gebe, aber sie führe den Kanzler diesmal nach Ost- und Westdeutschland.

Ob abgesagte oder nie geplante Ostreise – die vierte Botschaft der kleinen Nachricht ist die entscheidende: Es gibt keinen Königsweg, wie man mit Ostdeutschland umzugehen hat, um am Ende dort die Wahl nicht zu verlieren. Behandelt man den Osten besonders pfleglich, vielleicht noch wie der gute Onkel aus dem Westen, kann das die dort ohnehin vorhandenen Ressentiments verstärken. Behandelt man den Osten wie den Westen, also gleichberechtigt, kann das zum selben Ergebnis führen. Vor diesem Dilemma stand die SPD auch bei der Frage, ob sie einen reinen Ost-Parteitag veranstalten oder lieber auf ihn verzichten solle. Schließlich setzten sich die Kampa-Leute um Matthias Machnig mit ihrer Idee durch und überzeugten manchen Skeptiker im Kanzleramt. Den Osten pushen, lautet jetzt die Devise. Mit ohne Schröder.

Dazu haben sich die ostdeutschen Sozialdemokraten zusammengetan und an den Parteitag einen Leitantrag formuliert, den sie gestern in Berlin vorstellten. Manches ist der rot-grünen Regierung im Osten gut gelungen, manches ist noch zu tun, heißt die vorsichtig-positive Botschaft des Papiers. Die konkreten Forderungen: rasche Angleichung der Einkommen an das Westniveau, bessere Verkehrsinfrastruktur im Osten, Stärkung der Kommunen, Förderung des Mittelstandes. „Der Osten ist ein starkes Stück Deutschland“, heißt es im Leitantrag. Eben – nur ein Stück. Der Kanzler will das andere, größere Stück nicht aus den Augen verlieren.