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Kokett bauschte sich sein blaues Röckchen
: Das Bohrmaschinenmassaker

Ich hatte einen freien Abend und keine Verabredung. Fremd in der eigenen Stadt, super. Da stand eine Tür offen, vor der ein paar Leute mit Bierflaschen herumstanden. Hinter der Tür war ein Raum zu erkennen, der kaum breiter war als der Türrahmen, jedoch relativ lang. Komisch, hatte ich noch nie gesehen. Ich zögerte, dann dachte ich: Hey, ich kann ja einfach reingehen – und dann stand ich auch schon drin.

Gleich hinter dem Eingang hockte ein ergrautes Männlein mit munteren Augen und klepperte mit einer Blechdose. „Kostet zwei Euro!“, krächzte es, und ich entdeckte ein aufgestelltes Pappschild, auf dem stand: „bohrmaschine privat. mechanische skulpturen in elektroakustischer bearbeitung“. Da ist doch alles drin, dachte ich und kramte in meiner Tasche nach Geld. Das Männlein sagte noch: „Fängt wahrscheinlich bald an“, und dann sah ich schon die Augen des Getränkeverkäufers in meine vertieft. Er stand hinter einem Tresen, der die Ausmaße eines Kinderkaufmannsladens besaß. „Wernesgrüner, Wein, Cola, Wasser“, kam er mir knapp zu Hilfe. „Wernesgrüner“, sagte ich erleichtert, und so stand ich bald wie die anderen ca. 20 Leute mit der Bierflasche in der Hand, knapp überm Bauch gehalten.

Es lief erstaunlich leise Musik, und die Leute redeten nicht viel. Es schien, als wäre jeder für sich gekommen, um sich die Bohrmaschinenperformance anzusehen. Vorne standen auf einem Tisch mit blauer Tischdecke 18 Bohrmaschinen in drei Sechserreihen, die Bohreinsätze in die Luft gestreckt. Sie waren mit einem Computer verkabelt, ein riesiger Kabelsalat befand sich unter dem Tisch, und neben dem Computer befanden sich noch jede Menge magische schwarze Kästchen und ein kleiner Gesangsverstärker mit Mikrofon. Auf jedem Bohreinsatz war ein blaues Tuch befestigt. Hinter dem Tisch standen zwei Stühle. Über dem ganzen Raum lag heitere Konzentration. Dann lösten sich zwei dunkle Gestalten aus dem lockeren Verbund von dunklen Gestalten und setzten sich auf die Stühle.

Die Musik wurde ausgemacht und die beiden Männer stöpselten und drückten seelenruhig auf ihren Kästchen herum. Es erklang ein Ton, und einer der 18 Bohrer begann, sich langsam zu drehen und sein blaues Tuch blähte sich ein bisschen. Ein anderer Bohrer aus der hintersten Reihe kam langsam in die Gänge, mit einem tiefen sonoren Schnarren. Jetzt kam ein hysterisches Fiepen, und ein Bohrer links außen ging von null auf zehntausend, und sein blaues Kleid flappte hart und hektisch, bis es keine Chance mehr hatte und durch die Zentrifugalkraft an seine Mitte gedrückt wurde. Ein Mädchen in meiner Nähe begann zu kichern, ein anderes prustete los. Dann kam ein neuer Bohrer in die Gänge, der wie ein Automotor aufheulte und sich schnell und langsam drehte.

Der gezierteste Tänzer bis jetzt, kokett bauschte sich sein blaues Röckchen auf, um dann wieder in sich zusammenzufallen. Es war saukomisch, und mir entfuhr nun auch ein Lachen, das ich noch nie gehört hatte. Jetzt begann der eine Typ in das Mikro zu singen, sehr leise und sehr verzerrt, es klang wie ein Radio von ganz weit her, und was er sang, konnte man nicht verstehen, aber es war wie eine Litanei, und ab und zu wiederholte er das Wort „Internet“. Einen Moment später hatte die ganze zweite Reihe ihren Auftritt, während die anderen Tänzer auf ihren Einsatz warteten. Manchmal gab es auch ein Solo, am lustigsten war der Hysterische, der sich so schnell drehte, dass sein Rock nach kurzem Flappen wie ein Stab aussah.

Einmal, als alle Bohrer sich in unterschiedlichen Rhythmen selbstvergessen um sich selbst drehten, schrie es hinter mir: „Das könnt ihr nicht machen, jetzt noch nicht!“ Als ich mich umschaute, standen alle starr und stumm. Dann war alles vorbei. Ich stellte meine Wernesgrüner-Flasche in eine Ecke und ging hinaus. Es war gerade mal Mitternacht. ALMUT KLOTZ