Geheimnisse New Yorker Hinterhöfe

Hierzulande unbekannt: Der Comic-Zeichner Ben Katchor ist heute an der HfbK zu Gast  ■ Von Ole Frahm

Alle Welt kennt New York, auch wenn sie niemals dort war. Die ungezählten Wolkenkratzer, die ge-rasterten Straßen, die U-Bahn über der Straße, all dies ist geläufig aus Fernsehserien, Filmen, Nachrichten und – Comics. Spiderman spinnt zwischen den Hochhäusern sein Netz, Batman verfolgt dort den Joker und The X-Man retten an der Freiheitsstatue die Welt.

Dieses mythische New York ist nicht ganz New York. Die kleinen Geschichten des Alltags, die Geheimnisse der Hinterhöfe, die Epiphanien des Straßenlebens werden in den Superhelden-Comics nicht erzählt. Dafür braucht es einen Comic-Zeichner wie Ben Katchor, der heute Abend an der Hochschule für bildende Künste einen Lichtbild-Vortrag mit dem vielversprechenden Titel „Urban Navigation & a Plan for a Carefare City“ hält.

Ben Katchor ist hierzulande völlig unbekannt. Keiner seiner wöchentlichen Comic-strips wird abgedruckt, keines seiner Bücher ist übersetzt. Dabei hat er in den USA großen Zuspruch erfahren. Zu seinem 50. Geburtstag hat ihm das Jewish Museum in New York eine eigene Ausstellung gewidmet, er hat jüngst den hochdotierten Preis der MacArthur Foundation gewonnen und kann nach 25 Jahren tatsächlich vom Comic-Zeichnen leben. Für avancierte Künstler wie ihn eine Ausnahme.

Diese Würdigungen wundern nicht: Kaum einem Comic-Erzähler unserer Tage gelingt eine ähnliche Verdichtung von Wort und Bild. Sie wirken beide befreit voneinander und sind sich dadurch näher als je. Keine der vielen Arbeiten Katchors erschließt sich auf den ersten Blick. Seine Comics lehren das Sehen, lehren das Lesen ohne zu belehren. Im Gegenteil: Immer wieder weiß Katchor einen kleinen Scherz unterzubringen, eine Pointe zu lancieren, aber auch eine Refle-xion des Mediums in die Story zu schmuggeln, um seine LeserInnen zugleich zu fordern und zu amüsieren.

In seiner großen, im frühen 19. Jahrhundert spielenden Erzählung The Jew of New York beispielsweise sehen wir Yosl Feinbroyt in ein Café gehen, um die Geräusche des Essens und Trinkens ins Englische zu transkribieren. Die LeserInnen konnten schon 20 Seiten eines Gesprächs verfolgen, in dem neben den Sprechblasen „Zhaloup“, „Choup“ zu lesen war. Feinbroyt notiert genau diese Onomatopoen, als stünden sie tatsächlich in der Luft: Die identische Wiederholung der Klangworte bestätigt ihre Objektivität. Als einer der Gäste rülpst – „GREPTS“ – fällt Feinbroyt vor Begeisterung in Trance. Er sieht sich am Ende einer großen Halle vor einem Vorhang mit diesem Wort, „dem ewigen Klang der Erleichterung“.

Das ist lustig, weil Katchor es lustig und nebensächlich erzählt, und es teilt zugleich etwas über Comics mit. Dass sie in der identischen Bestätigung ihrer unterschiedlichen Zeichen, zwischen Bild und Schrift, eine komisch instabile und dabei unhintergehbare Wahrheit erzeugen: „GREPTS“. Ben Katchor erhebt keinen geringeren Anspruch mit seinen Bildgeschichten. Er erzählt die Wahrheit der Moderne, die nicht gradlinig erzählt werden kann, sondern sich zwischen unglaublichen Versuchen und unglaublichem Verfall verdichtet.

Mit dem Real Estate Photographer Julius Knipl hat Katchor eine Figur geschaffen, mit der er seinem New York immer neue Bilder und Geschichten abgewinnen kann. In der fragmentierten Komplexität, der Liebe zum Detail und der Durchdringung des Stadtlebens erinnern Katchors Comic Strips mit ihren ständig wechselnden Perspektiven an den Ulysses von James Joyce auf der Höhe unserer Gegenwart. Katchor musste nicht wie Joyce seine Stadt verlassen, um von ihr zu erzählen. Er ist in New York geboren, lebt dort noch immer, hat dort seine ersten Comics unter anderem in dem von Art Spiegelman herausgegebenen „Sporadicum“ RAW veröffentlicht und ist doch bis heute ihr vielleicht aufmerksamster Tourist geblieben. Er kennt New York anders als alle Welt und wird heute erstmals in Hamburg von seiner niemals endenden Reise berichten.

heute, 19 Uhr, HfbK, Lerchenfeld 2, Raum 229