Landgericht rastert aus

Nach Berlin kippt nun auch in Hessen ein Landgericht die elektronische Rasterfahndung nach „Schläfern“ islamistischer Terrorzellen. Richter können „gegenwärtige Gefahr“ nicht erkennen

GIESSEN/WIESBADEN taz ■ Das Wiesbadener Landgericht hat gestern die Rasterfahndung unter ausländischen Studenten hessischer Universitäten für rechtswidrig erklärt, weil die gesetzlichen Grundlagen dafür nicht erfüllt seien.

Die Richter hoben deshalb zugleich einen Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden auf, in dem die Rasterfahndung in Hessen am 24. September des vergangenen Jahres genehmigt worden war. Das hessische Landeskriminalamt hatte damals seinen Antrag mit der unmittelbar bevorstehenden Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland begründet.

„Die Gefahrenprognose des Antragstellers hat sich nicht bestätigt“, schrieb das Landgericht Wiesbaden zur Begründung. „Je mehr Zeit nach den Terroranschlägen vom 11. September verstrichen ist, umso eindeutiger lässt sich dies feststellen.“

Mit dem Richterspruch folgte das Landgericht einem sudanesischen Studenten aus Gießen, der durch die Rasterfahndung seine Grundrechte durch die Weitergabe von persönlichen Daten verletzt sah und dagegen gerichtlich Beschwerde eingelegt hatte. Zunächst hatte ihm das Landgericht Wiesbaden ein Recht auf Beschwerde abgesprochen. Das Oberlandesgericht Wiesbaden, wo der Fall daraufhin anhängig wurde, gab ihm jedoch Recht und verwies ihn anschließend an das Landgericht zurück, an dem gestern geurteilt wurde.

Bereits im Januar hatten in Berlin drei Studenten mit einer Beschwerde gegen die Rasterfahndung Erfolg. In Nordrhein-Westfalen hatten ebenfalls Studenten Beschwerde eingelegt. Ein Urteil steht dort noch aus. In fast allen Bundesländern wurde nach den Terroranschlägen in New York und Washington mit Hilfe der Rasterfahndung nach potenziellen islamistischen Terroristen gesucht.

Ohne eine deutlich erkennbare unmittelbare Gefahr für die Bundesrepublik, das Land Hessen oder Leib und Leben einer Person sei die Rasterfahndung aber nicht zu rechtfertigen, heißt es in der Urteilsbegründung des Wiesbadener Gerichts weiter. Weder die Milzbrandanschläge Ende vergangenen Jahres noch die Entdeckung so genannter „Schläfer“ änderten daran etwas. Auch die Bundesregierung „mit den ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen“ erkenne keine „gegenwärtige Gefahr“.

Als „völlig lebensfremd“ bezeichnete der hessische Innenminister Volker Bouffier in einer ersten Stellungnahme diese Argumentation der Richter. Die Prävention terroristischer Gewalttaten werde so „ad absurdum geführt“. „Die Rasterfahndung ist ein Instrument, um vorbeugend potenzielle terroristische Gewalttäter zu identifizieren und dingfest zu machen“, sagte Bouffier. Der Landesinnenminister kündigte an, den Beschluss genau zu prüfen und Rechtsmittel einzulegen.

YASSIN MUSHARBASH

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