Jeder Sechste geht stempeln

Neuer Negativrekord seit der Wiedervereinigung: 17 Prozent Arbeitslose in Berlin. Arbeitsamtschef Clausnitzer wehrt sich gegen Vorwürfe des Bundesrechnungshofs wegen falscher Erfolgsbilanzen

von MARKUS MÜNCH
und MARIJA LATKOVIC

„Besser wird’s nicht“ – das ist, kurz gefasst, die Einschätzung von Klaus Clausnitzer, Präsident des Landesarbeitsamts. Die Arbeitslosenzahlen in Berlin haben einen neuen Höchststand erreicht: 291.009 Berliner sind ohne Beschäftigung, das sind 17 Prozent – so viel wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Im Vergleich zum Dezember gab es einen Arbeitslosenanstieg um 0,7 Prozentpunkte, im vergangenen Januar waren 16,4 Prozent der Berliner arbeitslos. Unter den Bezirken führen Kreuzberg mit 27 Prozent Arbeitslosen, Wedding (24,5) und Neukölln (22,1) die Statistik an. In Brandenburg stieg die Quote auf 18,7 Prozent.

„Vorwiegend saisonale Gründe“ sind nach Clausnitzers Einschätzung für den erneuten Anstieg verantwortlich. Bauarbeiter, Warenkaufleute und Büro- oder Verwaltungsangestellte seien am stärksten betroffen. „Die Politik hat maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen“, sagt Ver.di-Sprecherin Heidrun Westkemper. In den vergangenen zehn Jahren seien in Berlin allein im öffentlichen Dienst 92.000 Arbeitsplätze abgebaut worden. Der rot-rote Senat plane nun, weitere 15.000 Stellen zu streichen. Zu wenig Rücksicht würde auf die Folgekosten genommen, die dabei durch Arbeitslosengeld und Sozialhilfe entstehen. „Dieses Geld sollte man stattdessen in den Erhalt von Arbeitsplätzen investieren“, kritisierte Westkemper.

Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS) hielt gestern dennoch an den „zwingend notwendigen Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor“ fest und sagte: „Berlin hat noch einen weiten Weg vor sich!“ Gleichzeitig versicherte Gysi aber, man wolle bei den laufenden Haushaltsverhandlungen kurzfristig sicherstellen, dass arbeitsmarktpolitische Maßnahmen weiter finanziert werden. Die Opposition will ihn dabei in die Pflicht nehmen. „Die CDU-Fraktion fordert die Herren Wowereit und Gysi auf, angesichts der desolaten Lage unverzüglich ein Sofortprogramm zur Belebung des Arbeitsmarktes aufzustellen“, erklärte Fraktionschef Frank Steffel. Er machte auf die anhaltenden Negativmeldungen aus der Privatwirtschaft aufmerksam. Der Stellenabbau beim Traditionsunternehmen Borsig, der Berliner Volksbank und beim Lebensmittelhändler Reichelt erfülle die Berliner mit „tiefer Sorge“.

Auch neue Stellenangebote konnten die Entwicklung im Januar nicht aufhalten: 8.700 verzeichnete das Arbeitsamt, 3.300 weniger als ein Jahr zuvor. Das entspricht genau der Zahl, um die auch die Jugendarbeitslosigkeit angestiegen ist. Sie liegt mit 34.400 Erwerbslosen unter 25 Jahren ebenfalls deutlich über dem Vorjahr. Daran konnte auch das Jugend-Sofortprogramm „Jump“ nicht viel ändern, obwohl in Berlin 700 Jugendliche mehr gefördert wurden als im Januar 2001. Maßnahmen der berufliche Weiterbildung ging ebenso zurück, und die ABM-Stellen veringerten sich auf 12.300.

Aus dem Bundesrechnungshof war gestern zudem bekannt geworden, dass 70 Prozent der Stellenvermittlungen von den Arbeitsämtern fehlerhaft verbucht worden sind. Ein interner Bericht hatte fünf Arbeitsämter, darunter auch ein brandenburgisches in Frankfurt /Oder, unter die Lupe genommen, die Untersuchung sei aber für alle deutschen Arbeitsämter repräsentativ, meinen die Rechnungsprüfer. Landesarbeitsamtschef Clausnitzer wehrte sich gestern gegen die Vorwürfe: „Warum sollten wir Zahlen türken?“ Sein Amt werte auch die erfolgreiche Vermittlung, wenn kein Stellenangebot vorlag. Der Rechnungshof nehme eine wesentlich engere Auslegung vor. Er kündigte an, die gerügten Fälle zu prüfen.