Chiracs Alptraum aus der Karibik

Knapp drei Monate vor den französischen Präsidentschaftswahlen kehrt einer der möglichen Kronzeugen für die Aufklärung der Schmiergeldaffären der konservativen RPR plötzlich aus der Dominikanischen Republik nach Frankreich zurück

aus Paris DOROTHEA HAHN

Sieben Jahre lang war Didier Schuller unauffindbar. Der frühere Politiker der neogaullistischen RPR und einstige Chef des Amts für Wohnungsbau im westlich von Paris gelegenen Nobeldépartement Hauts-de-Seine, dem Betrug und illegale Parteienfinanzierung in Millionenhöhe vorgeworfen wird, war einer jener prominenten Republikflüchtlinge, die in Frankreich gelegentlich Illustriertenseiten füllten, an deren Rückkehr aber kaum jemand glaubte. Davor – so hieß es – schützten ihn seine einflussreichen Freunde.

Bis gestern. Elf Wochen vor den Präsidentschaftswahlen kam Schuller um 13 Uhr 05 aus der Dominikanischen Republik, wo er unter einem falschen Namen untergetaucht war, nach Paris zurück. Er reise „freiwillig“ an, um sein Problem mit der Justiz zu regeln, und er habe keinerlei Zusicherungen bekommen, hatte der Republikflüchtling zuvor dominikanischen Journalisten anvertraut. Er hatte hinzugefügt, dass er keinerlei Selbstmordabsichten hege. Sollte er eines Tages tot gefunden werden, so Schuller, ist das ein „Werk meiner Feinde“.

Am Flughafen Roissy nahmen Polizisten Schuller im Empfang. Sie geleiteten den Heimkehrer direkt zum Untersuchungsrichter, von dem erwartet wurde, dass er ihn umgehend in U-Haft schicken würde. Das Dossier über das Amt für Wohnungsbau in den Hauts-de-Seine beschäftigt das Gericht seit Jahren. Den Untersuchungsrichtern liegen Informationen vor, wonach Bauunternehmer, die staatliche Aufträge haben wollten, Bestechungssummen in eine Schwarzgeldkasse zahlen mussten. Diese Gelder soll Schuller an die RPR weitergeleitet haben. Der starke Mann der RPR in jenem Département war der einstige Innenminister Charles Pasqua. Die Rolle des RPR-Gründers und langjährigen Vorsitzenden Jacques Chirac ist unklar. Das „erste Wahlkampfargument der sozialistischen Partei ist aus dem Flugzeug gestiegen“, kommentierte die Chefin der RPR, Michèle Alliot-Marie die Rückkehr des jahrelang vergeblich per internationalem Haftbefehl gesuchten Schuller. Ein anderer konservativer Politiker, der rechtsliberale Francois Goulard, bezweifelte, dass jemand, der „sicher ist, ins Gefängnis zu kommen, so fröhlich zurückkommt“. Wie zahlreiche andere konservative Politiker ist der DL-Abgeordnete davon überzeugt, dass Schullers Rückkehr eine „Manipulation“ gegen die RPR und ein Tiefschlag gegen Jacques Chirac ist, von dem erwartet wird, dass er demnächst ganz offiziell seine allerseits erwartete Kandidatur für eine zweite Amtszeit als Staatspräsident bekannt gibt.

Die sozialistische Partei, so der schwere Verdacht gegen die Regierung, habe dem Republikflüchtling „Zusagen“ gemacht. Die PS „rührt in Scheiße“ hatte der ansonsten auch sprachlich distinguierte Expremierminister und RPR-Politiker Alain Juppé schon einige Tage zuvor über den beginnenden Wahlkampf gesagt.

Noch während Schuller im Flugzeug in Richtung Paris saß, beeilten sich verschiedene PS-Politiker, ihre „Unschuld“ am Zustandekommen der Rückkehr des Republikflüchtlings zu beteuern. Die Regierung habe in keiner Weise eingewirkt, versicherte Landwirtschaftsminister Jean Glavany und der Abgeordnete Jean-Marc Ayrault beklagte die „Aufregung“ der Rechten rund um das Thema Schuller. „Lassen wir die Justiz ihre Arbeit erledigen“, erklärte er.

Bislang ist unklar, ob Schuller zu Enthüllungen über seine Rolle bei der Parteienfinanzierung bereit ist. Der Aufenthaltsort des Republikflüchtlings war von seinem eigenen, in Genf lebenden Sohn Antoine, Ende Januar in einem Interview mit der Boulevardzeitung Parisien denunziert worden. Seither hat Schuller französischen Medien mehrere Interviews gegeben. Unter anderem beschwor er darin, keinen Einfluss auf den Präsidentschaftswahlkampf nehmen und schon gar nicht dem mutmaßlichen Kandidaten Chirac schaden zu wollen. Er habe hingegen vor, erklärte Schuller, seinen Sohn aus den Klauen einer „faschistoiden Sekte“ zu befreien.

Kurz vor seiner spektakulären Rückkehr nach Paris wechselte Schuller den Anwalt. Nachdem er jahrelang von einem der RPR nahe stehenden Juristen betreut worden war, wechselte er zu einem der PS nahen Advokaten – was wiederum Verdacht aufkommen ließ.