Fieber mit Folgen

Halbzeit in Österreich: Vor zwei Jahren schlossen ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel und Jörg Haider von der FPÖ in Wien ihren Pakt. Eine Bilanz des rechten Populismus an der Macht

Populismus ist eine Art Fieber, das ein von ihm befallenes Gemeinwesen nur schwer wieder loslässt

Der 4. Februar 2000 ist ein denkwürdiges Datum. An diesem Tag führte ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel sein Kabinett auf unterirdischen Wegen zur Vereidigung in die Wiener Präsidentschaftskanzlei, während über Tage seine Gegner die Straße besetzt hielten. Seitdem amtiert in Wien ein Kabinett aus konservativer Österreichischer Volkspartei und den Rechtsaußen von der Freiheitlichen Partei FPÖ. Die Bilanz dieser beiden Jahre zu ziehen, ist keine leichte Aufgabe, will man nicht allzu groben Holzschnitten den Vorzug geben.

Dabei ließen sich genügend Beispiele finden für den kalten Machtwillen der Regierenden, mit dem sie kritische Kräfte aus der Öffentlichkeit zu bugsieren versuchen; für die brutale Umfärbung aller Institutionen von Sozialversicherung bis öffentlich-rechtlichem Rundfunk, von staatsnaher Wirtschaft bis in die untersten Kapillaren der Ministerialbürokratie; hinzufügen ließen sich die chauvinistischen und zum Teil rassistischen Kampagnen des Führers der Freiheitlichen, welcher Exparteichef Jörg Haider immer noch ist.

Es geht um jene kumulative Zuführung des Giftes des Populismus mithin, die permanente Zuspitzung und Polarisierung, die Freundproduktion durch Feinderklärung, die diskursive Schaffung eines „Wir“, indem immer wieder ein „Sie“ gleichsam aus der Gemeinschaft der guten, fleißigen, patriotischen Österreicher exkludiert, ja geradezu verworfen, zu deren Feind erklärt wird. Die Opfer sind dabei austauschbar: Es können die Juden sein wie im Wiener Gemeinderatswahlkampf vor einem Jahr, die Opposition, die in den Sanktionszeiten in die Position der Dissidenz gedrängt wurde oder wie zuletzt die tschechischen Nachbarn in der aggressiven österreichischen Kampagne gegen das grenznahe Atomkraftwerk Temelín.

Mit beinahe ebensolcher Berechtigung ließe sich freilich auch die Bilanz einer Regierung mit etwas unorthodoxer Zusammensetzung beschreiben, deren praktisches Regierungshandeln sich von dem Mainstream europäischer Politik nicht außerordentlich unterscheidet; die in Zuwanderungsfragen die Luken dicht macht – aber nicht so brutal wie Italien oder Dänemark; die einen Kurs der Haushaltskonsolidierung fährt – worin sie sich vom Gros der EU-Partner kaum unterscheidet; die den Reformstau sogar ein bisschen abbaut – aber nicht so sehr, wie das ihre Fürsprecher aus Medien und Wirtschaft erhofft haben; und deren unspektakuläre Taten immer wieder durch unnötige Wortmeldungen höherer oder mittlerer Funktionäre der größeren Regierungspartei in Verruf gebracht werden.

Hinzu kommt eine zum Teil tölpelhafte Unprofessionalität. Österreich hat also eine Regierung, die einem Land vorsteht, in dem sich beinahe so gut und unbeschwert leben lässt wie vor zweieinhalb Jahren auch – vorausgesetzt, man ärgert sich nicht allzu sehr über den provinziellen Stumpfsinn und die verbalen Unerhörtheiten der Politiker des Regierungslagers. Das ist durchaus möglich, wenn man entweder gute Nerven hat oder nur deutsche Zeitungen liest, nur deutsches Radio hört und nur deutsches Fernsehen guckt.

Das Schwierige und gleichzeitig das Lehrreiche – schließlich haben wir hier die seltene Möglichkeit, den modernen rechten Populismus in Aktion, in der Praxis, an der Macht zu studieren – ist es, beide Realitäten in der Bilanz zu berücksichtigen. Tatsächlich ist es möglicherweise sogar eines der Charakteristika des Populismus an der Macht, dass er die Realität in widersprechende, dichotomische Realitäten zerreißt, so wie er das Land selbst durchfurcht, polarisiert, aus der Einheit in der Konkurrenz moderner westlicher Demokratien wieder den Kampf verfeindeter Lager macht, aus Kritikern Gegner, aus Oppositionellen Dissidenten.

Trotzdem funktionieren die Institutionen, und der Totalitarismus winkt nicht an der nächsten Ecke

Einer ebenso dichotomischen Logik folgt, dass Juden zu Zielscheiben öffentlicher Gehässigkeit werden, während die Restitutionsverhandlungen über die Rückgabe des während des Nationalsozialismus geraubten jüdischen Eigentums zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst werden; dass die Minderheit der Kärntner Slowenen in der symbolisch bedeutenden Frage zweisprachiger Ortstafeln zum Opfer einer populistischen Attacke wird, die reale Minderheitenpolitik des freiheitlichen Landeshauptmanns sich aber durchaus im demokratischen Mainstream bewegt; dass die Freiheitliche Partei Österreichs FPÖ die traditionellen Ressentiments gegen die Tschechen schürt, während rechtlich jedenfalls der Vertrag bis auf weiteres bindend bleibt, den der FPÖ-Koalitionäre und Kanzler Wolfgang Schüssel und Prags Miloš Zeman in Brüssel geschlossen haben.

Einer der Irrtümer bestünde freilich darin, das Gewicht einer dieser Realitäten gegenüber der anderen unverhältnismäßig überzubewerten. In Österreich herrschen Recht und Gesetz, die demokratischen Institutionen des Landes funktionieren und der Totalitarismus winkt nicht an der nächsten Ecke – trotz der Kampfrhetorik, mit der „die demokratischen Werte seit der Wende systematisch sturmreif geschossen werden“ (Salzburger Nachrichten).

Andererseits liegen natürlich auch all jene falsch, die – meist handelt es sich um Stimmungsmacher des Wiener Regierungslagers – meinen, man müsse die Koalition an ihren Taten, nicht an den Worten oder Forderungen der FPÖ messen. Diese Sprachregelung war von ÖVP-Kanzler Schüssel selbst vorgegeben worden. Aber auch Worte sind „Taten“ in dem Sinne, dass sie an der Lage etwas verändern. Den Grundkonsens einer pluralistischen Demokratie zu verletzen bleibt nicht ohne Folgen.

Wie auf einer schiefen Bahn gerät die politische Szenerie ins Rutschen. Nach jeder Provokation aus den Reihen der Koalition folgt die Gewöhnung – und damit werden die Grenzen des Möglichen verschoben. Ist der Virus des Chauvinismus erst einmal im Umlauf, ist die Spaltung in ein „Wir“ und ein „Sie“ politisch durchgesetzt, kann sich dem kaum mehr jemand entziehen. Ist die Opposition einmal als „unpatriotisch“ gebranntmarkt und der chauvistische Diskurs als solcher hegemonial, dann wird sich kaum mehr das „level-playing-field“ herstellen lassen, das prinzipiell konstitutiv für die parlamentarische Weise des Regierens und Opponierens ist. Das Ressentiment nistet sich überall in Österreich ein. Die Sachfrage eines Atomkraftwerkes wird zum Streit zwischen „den Tschechen“ und „den Österreichern“ aufgeblasen – bis endlich die Kriegsrhetorik Einzug hält in eine einstmals gute Nachbarschaft. Die Regierungsmentalität, die die Volkspartei und die Freiheitlichen zusammenschweißt, zielt auf Revanche für 30 Jahre sozialdemokratischer Kanzlerschaft in Österreich ab. Nicht bloß „die Roten“ werden aus allen Posten gebugst – sondern auch all jene, die unter den Roten etwas geworden sind. Es ist Rhetorik, aber keineswegs darum folgenlos, wenn Haider, wie unlängst geschehen, Hüter der rechtsstaatlichen Ordnung, die österreichischen Verfassungsrichter nämlich als „weltfremde Lemuren, die nicht wissen, was mein Volk denkt“ attackiert.

Exemplarisch für diese Technik war jene Debatte vor eineinhalb Jahren, als Haider vorschlug, den Führern der Opposition wegen unpatriotischen Verhaltens den Prozess zu machen, und der amtierende Justizminister befand, er halte die Idee für „verfolgenswert“. Diese erste Reaktion schwächte das Regierungsmitglied damals ab, indem er später hinzufügte, er sei bloß für „Enttabuisierung“, er fände es „akzeptabel, dass man auch so etwas diskutiert“.

Populismus macht aus Konkurrenz Kampf, aus Kritikern Gegner, aus Oppositionellen Dissidenten

Das ist die Bilanz des rechten Populismus an der Macht in Österreich: Er führt, ausgestattet mit der Autorität des Regierenden, Dinge in die Debatte ein, die in einer pluralistischen Demokratie niemals debattiert werden dürften; er vergiftet das Klima, indem er das Unmögliche in den Bereich des Möglichen rückt; Populismus zerreißt das Land und bringt zwischenstaatliche Konflikte zum Eskalieren, indem er politische Streitfragen zu unteilbaren Identitätskonflikten macht, die kaum mehr Kompromisse zulassen.

Der Populismus an der Macht führt uns somit auch mit aller Deutlichkeit vor Augen, was wir zwar schon irgendwie, doch nicht in dieser Klarheit wussten: Dass Politik mehr ist als die Summe von Regierungshandeln oder die Technik zur Verabschiedung von Gesetzen und Verordnungen – mögen diese, jede für sich genommen, auch noch so unspektakulär sein. Der Populismus ist eine Art Fieber, das ein Gemeinwesen nurmehr schwer wieder loslässt, wenn es einmal von diesem erfasst wurde. ROBERT MISIK