Planungszellen statt Bürgerbegehren

Mitbestimmung ist gar nicht so schwer: In so genannten Planungszellen können Bürger heute schon in einigen Dingen mitentscheiden. Für den Soziologen Peter Dienel ist das sogar ein Modell für die Erstellung des Landeshaushalts

taz: Im brasilianischen Porto Alegre arbeiten Bürgerforen aktiv an der Politik mit. Ist das das Gleiche wie Ihre Planungszellen?

Peter Dienel: In gewisser Weise ja. Für die Planungszelle wählen wir nach dem Zufallsprinzip 25 Leute aus dem Einwohnermelderegister, und die dürfen sich vier Tage lang auf Staatskosten mit einem konkreten Problem beschäftigen. Dazu bekommen sie alle nötigen Informationen, erwägen ihre Meinung, arbeiten in wechselnden Kleingruppen, und am Ende sind sie sich klar, was sie wollen und was nicht. Das wird zu einem Bürgergutachten zusammengefasst und dem Auftraggeber vorgelegt.

Der sich daran aber nicht halten muss …

… es aber oft tut. Denn die Nicht-Beteiligten sehen das Bürgergutachten hoch an. Sie empfinden, dass es aus einer bestechungs-freien Zone kommt. Mit anderen Worten: Diese Bürgergutachten produzieren Akzeptanz, auch für ungeliebte Problemlösungen.

Könnte man mit so einem Modell womöglich auch die Haushaltsprobleme Berlins lösen?

Aber natürlich! Bis jetzt hat man uns zwar noch nicht an einen Haushalt herangelassen – wir brauchen ja immer einen öffentlichen Auftraggeber. Aber das wird kommen.

Wäre die Thematik nicht zu kompliziert?

Nein, die Leute verstehen viel mehr, als wir anfangs gedacht haben, und die Ergebnisse sind sehr rational und deutlich am Gesamtinteresse orientiert. Es sind zwar wegen des Zufallsprinzips auch echte Idioten dabei. Aber selbst das ist kein Problem. Man hilft sich untereindander – die Menschen lernen ja nicht in einer Schulsituation am besten, sondern dann, wenn sie etwas als ernst empfinden. Zum Beispiel wenn man verliebt ist oder bei einer Hungersnot. Und die Planungszelle wird offenbar als Ernstfall definiert. Also: Haushaltsprobleme – gar keine Frage!

Kann sich eine Stadt in Finanznot Planungszellen leisten?

Naja, das ist mehr ein optisches Problem. Innovationen haben es immer schwer. Was den Vergleich angeht, schneiden wir aber sehr gut ab. Wir sind billiger als viele so genannte Gutachter.

Ließe sich mit Bürgerbegehren nicht das Gleiche erreichen?

Abgesehen davon, dass sie sehr teuer sind, bringen sie nicht viel. Das ist ja immer nur eine Ja/Nein-Entscheidung, von der wir gar nicht wissen, ob sie fundiert ist. Dass immer mehr Leute über Sachen mitreden, von der sie keine Ahnung haben, ist nicht entwicklungsfähig.

Aber warum soll das in einer Planzelle eigentlich besser klappen?

Weil damit das, was die Demokratie verspricht, realisiert wird. Dass Bürger plötzlich an einer entscheidenden Frage mitwirken können, mit begründeter Aussicht auf Erfolg. Wir stehen an der Schwelle zu einem Bereich, in dem Politik in einer würdigen, Spaß machenden Form für jedermann geliefert wird.

In Porto Alegre hat die Arbeiterpartei die Bürgerbeteiligung initiiert. Glauben Sie, dass Rot-Rot in Berlin dafür auch aufgeschlossener ist?

Mit Parteien hängt das überhaupt nicht zusammen. Das ist zur Zeit einfach eine Entwicklung: „Bürgerbeteiligung“ und „Zivilgesellschaft“ sind gerade gefragt – nur weiß keiner, wie man das machen kann. Wir haben in den letzten 30 Jahren schon mit über 8.000 Menschen in Planungszellen gearbeitet. Im Moment läuft in Bayern ein Projekt mit über 400 Beteiligten zum Verbraucherschutzprogramm – für die bayrische Landesregierung.

INTERVIEW: MARKUS MÜNCH