Zieh mir den Slip runter!

Das weibliche Theaterkollektiv She She Pop stellt in ihrer Sado-Maso-Show „Bad“ auf Kampnagel Zuschauer auf die Tabu-Probe  ■ Von Karin Liebe

Frau Schwarz ist zufrieden. Sie zählt auf: fünf Abgänge im Publikum, davon zwei mit Türenknallen. Plus sechs Bestrafungen ungehörigen Zuschauerbenehmens. Auch die anderen Damen auf dem Podium sind zufrieden: Achtmal sei die eine gekommen, die andere habe ihr Ziel erreicht, sich betrunken und mit heruntergelassenen Hosen in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Was ist peinlich, was würde man sich nie trauen? Wo liegen die Grenzen zwischen Spiel und Ernst, zwischen Demütigung und Dominanz? Fragen, die vom Performance-Kollektiv She She Pop (sieben Frauen, ein männlicher Musiker mit Strumpfmaske) in ihrer Live-Art-Show Bad bei der Uraufführung auf Kampnagel nicht nur gekonnt spielerisch dargestellt, sondern auch frontal ans Publikum weitergegeben werden.

Das fängt schon beim Einlass an. Nur einzeln oder zu zweit ist der Eintritt durch den zwei Arschba-cken zierenden Vorhang erlaubt. Dahinter dunkle, schmale, labyrinthartige Gänge, Stimmen von allen Seiten. Man fühlt sich wie in der Geisterbahn – oder wie im Puff? Hinter der Biegung tauchen zwei halbnackte Frauen auf, Tequila auf dem Tisch. Schnell weiter. Ein Pfeil weist nach links. Der Weg endet bei einem Vorhang, diesmal ein Mund darauf. Hinein. Ich stehe im Rampenlicht. Dutzende von Augen ruhen auf mir. Menschen auf kreisförmig angeordneten Stühlen taxieren mich. Ich will hier weg! Aber wohin? Die freien Stühle am Bühnenrand sind Lichtjahre entfernt. Drei nackte Frauen stehen frontal vor mir, Mikro in der Hand. „Mädchenhafter Pony“, sagt die Eine. „Die kann reiten“, ergänzt die Zweite. „Aber langsam“, setzt die Dritte anzüglich nach.

Kaum sitze ich erleichtert, wandelt sich Unbehagen in Schadenfreude. Jetzt müssen andere durchs Blickespalier. Die drei Nackten haben alle eine amüsant spitze Zunge. „Der hält sich für groß. Ob er wirklich so einen Großen hat?“ „Bad“ sind diese Girls. Von Anfang an verkehren sie die Rollen, wirbeln Zuschauererwartungen und Theatergewohnheiten lustvoll durchei-nander. Nicht wer nackt ist, entblößt sich hier.

„Zeig mir Dein Fleisch“ heißt der Themenblock, für den She She Pop diese Show konzipiert haben. Die 1993 am Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaften gegründete „Performing Girl Group“ nimmt das Motto ernst. Bei der von spöttischen Kommentaren begleiteten Fleischbeschau einer halbnackten Darstellerin wird das Publikum dann in die Rolle von Peepshow-Konsumenten gezwungen. Sie hätte wohl niemals etwas von S-P-O-R-T gehört, verhöhnt die Mitspielerin. Ihr Arsch sehe aus wie ein altes Fischbrötchen. Doch dann reicht es der Gedemütigten. Sie zieht sich ein schwarzes Mieder, Strumpfhosen und Perücke an und verwandelt sich in die Domina Frau Schwarz. Und die sie eben noch demütigte, kniet plötzlich brav auf allen vieren und wird mit Bunny-Kopfschmuck als Lümmel-Appel tituliert. Die Rollen wechseln, doch eins bleibt: Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Katharina Oberlik, Ilia Papatheodorou, Berit Stumpf und Sebastian Bark haben großen Spaß an ihrer Performance – und ihr Publikum fest im Griff. Die meisten kooperieren artig, nur wenige verlassen den Raum oder verweigern das Mitmachen. Ein Zuschauer möchte der Dame vor ihm den Slip auch auf wiederholte Bitten nicht herunterziehen, eine Zuschauerin sagt „nö“ zum Vorschlag einer maskierten Darstellerin, an einer ihrer wassergefüllten Gummiblasen zu lecken, die wie Eiterbeulen am Körper hängen. Und einer verlässt das Theater, nachdem er der hochschwangeren Berit Stumpf aus allerlei sexy Outfit die pastellfarbenen Teilchen herausgesucht hat. She She Pop spielen gekonnt mit Tabus und Ängsten. Ein großer Spaß, aber auch große Qualen für den Zuschauer, der seine Grenzen selbst ausloten muss. Wenn sich beim Flaschendrehen der Hals auf deine Richtung eintrudelt, bist du dran. Jetzt.

Nur noch heute, 20 Uhr, Kampnagel (k1)