Tote reden nicht

Der ehemalige libanesische Milizenchef Hobeika wollte wegen der Massaker von 1982 gegen Israels Premier Scharon aussagen. Jetzt ist er tot

aus Beirut BERNHARD HILLENKAMP

Es war gegen zehn Uhr morgens, als Elli Hobeika am Donnerstag in seinem Auto 200 Meter von seinem Haus in Beirut entfernt durch eine in einem Mercedes versteckte und ferngezündete Bombe getötet wurde. Wenig später geht bei der Nachrichtenagentur Reuters in Zypern ein Bekennerschreiben ein. Eine unbekannte, anti-syrische Gruppe mit dem Namen „Libanesen für einen freien und unabhängigen Libanon“ bezeichnet den Anschlag als „Vollstreckung des Todesurteils gegen den syrischen Kollaborateur Hobeika“. Angesichts der gegenwärtigen Bedeutungslosigkeit von Hobeika wirkt der Zeitpunkt des Attentats dieser unbekannten Gruppe unlogisch, so die hiesigen Kommentatoren.

Tatsächlich drängt sich eher ein anderer Zusammenhang auf. Denn Elli Hobeika galt als Hauptbelastungszeuge gegen den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon bei einem Prozess, der seit Juni 2001 in Belgien die Massaker vom 16. und 17. September 1982 in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila aufklären soll. Hobeika, der ehemalige Geheimdienstchef der Christenmiliz „Lebanese Forces“, war selbst der Beteiligung an dem Massaker beschuldigt worden. Jetzt, so hatte er vor wenigen Tagen bei einem Treffen mit einer belgischen Delegation verkündet, wolle er aussagen. Israel und besonders Premierminister Scharon persönlich, so die einhellige Meinung in Beirut, wollte den ehemaligen Kampfgenossen und jetzigen Kronzeugen von der Aussage abhalten.

So erklärte ein libanesischer Regierungssprecher, dass „die komplexe Aktion und der Sprengstoff nicht auf eine lokale Gruppe, sondern einen ausländischen Geheimdienst verweist“. Der Sprecher Arafats im Libanon sagt „Alles deutet auf den Mossad.“ Vorsichtig, aber klar drückt sich der Präsident Lahoud aus. „Hobeika sollte von seiner Teilnahme an dem belgischen Verfahren abgehalten werden.“

Einem Bericht der libanesischen Zeitung Daily Star zufolge hat Hobeika allerdings vorgesorgt: All seine Kenntnisse über die Massaker vor Sabra und Schatila habe Hobeika auf eine Kassette aufgenommen und seinen Anwälten übergeben, berichtet die Zeitung. Hobeika habe dem Blatt gegenüber schon vor zwei Monaten davon gesprochen, er habe Beweise, dass der heutige Ministerpräsident und damalige Verteidigungsminister Scharon tiefer in das Massaker verwickelt sei als bislang zugegeben. Auch enge Vertraute des ermordeten Milizenchefs sagten gestern in Beirut, Hobeika habe Scharon belastende Dokumente an einem sicheren Ort aufbewahrt.

Die israelische Regierung will von den Vorwürfen freilich nichts wissen. Der israelische Außenminister Schimon Peres sagte: „Die Vorwürfe sind unbegründet. Seit wir den Libanon verlassen haben, spielen wir dort keine Rolle mehr.“ Ein anonymer israelischer Offizieller äußerte gegenüber Journalisten die Vermutung, Syrien sei an dem Anschlag beteiligt.

Die belgische Justiz will voraussichtlich am 6. März entscheiden, ob sie gegen Ariel Scharon ein Verfahren eröffnet. 23 Überlebende der Massaker hatten in Belgien eine Klage gegen Scharon eingereicht. Die belgische Gesetzeslage erlaubt in Fällen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann Ermittlungen, wenn die Tat keinen direkten Bezug zu Belgien hat.