Andauernder Lärm macht krank

Taube Ohren sind nur eine Folge von zu viel Krach. Langfristig einwirkender Lärm kann schwere gesundheitliche Schäden nach sich ziehen. Ein Drittel der Jugendlichen benötigen mit spätestens 50 Jahren auf Grund von Freizeitlärm ein Hörgerät

Freuen können sich über massiven Lärm eigentlich nur die Hersteller von Hörgeräten. Bereits heute ist in Deutschland jeder vierte Jugendliche schwerhörig. Nach Schätzungen von Wissenschaftlern werde „ein Drittel der Jugendlichen mit spätestens 50 Jahren auf Grund von Freizeitlärm ein Hörgerät benötigen“.

Die Ursachen dafür liegen auf der Hand: Laute Diskomusik schädigt das Gehör, aber auch Silvesterknaller, Spielzeugpistolen und andere Krachmacher, die Musikverstärkung durch Walkmen und auf Großveranstaltungen sowie ständig lauter werdender Verkehrslärm.

Schall werde dann als „Lärm“ bezeichnet, heißt es bei der AG Hörforschung von der Universität Gießen, wenn „er uns gesundheitlich schädigt oder wenn er uns auf die Nerven geht“. Dabei müsse man zwischen Gehör schädigendem Lärm und lästigem Lärm unterscheiden: Der eine könne durch physikalischen Schall Teile des Ohres zerstören, beim anderen diene der Schall als Bote, wobei uns die Botschaften stören können.

Da sich die Ohren – anders als etwa die Augen – nicht schließen lassen, wehren sie sich gleichsam mit einer zunächst vorübergehenden „Vertäubung“. Die Empfindlichkeit des Ohres wird reduziert, um es vor Schaden zu bewahren. „Das Ohr stellt sich gewissermaßen schwerhörig“, heißt es dazu in einer Untersuchung der AG Hörforschung. Die so genannten Haarzellen im Ohr werden beeinträchtigt. Ist die Lämbelastung dauerhaft, sterben sie unwiederbringlich ab, der Hörverlust bleibt chronisch. Zunächst lässt die Empfindlichkeit für hohe Töne nach, später auch die für tiefere. Der Prozess ist schleichend und verläuft für die Betroffenen oftmals unbemerkt. Wer schwer hört, hat Schwierigkeiten, Sprache zu verstehen, und die Bandbreite der Kommunikation ist gestört.

Ein neben der Schwerhörigkeit weithin bekanntes Phänomen ist der „Tinnitus“: Davon Betroffene „hören“ Töne und Geräusche im Ohr, die nicht vorhanden sind. Die Krankheit wird weiter erforscht. Bislang geben Wissenschaftler drei mögliche Ursachen dafür an: psychische Belastung etwa durch den Tod naher Angehöriger, physische Belastungen wie Verspannungen im Hals-Kopf-Bereich oder der Wirbelsäule und Gehörschäden als Folge eines Knalltraumas.

Abgesehen von der direkten organischen Auswirkung verursacht Lärm Stress. Die Folge: verengte Blutgefäße und steigender Blutdruck. Betrage der tagsüber dauernd zu ertragende Lärmpegel mehr als 65 Dezibel (dB), sei „ein erhöhtes Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen zu befürchten“, weiß man beim Umweltbundesamt. Die Stiftung Warentest stellte im Rahmen der von ihr erstellten Lärmgutachten fest, dass 64 Prozent der Bürger davon betroffen seien (siehe auch Beitrag unten). Zum Vergleich: Fernseher auf Zimmerlautstärke sind 60 dB laut, raschelnde Blätter 30 bis 40 dB und tickende Uhren erreichen einen Schallpegel von etwa 4 bis 15 dB. Neben dem Grundlärm in Großstädten – stehender Autoverkehr erreicht 80, ein Lkw gar 90 dB – gibt es ständig extrem laute Geräuschsignale. Polizeisirenen kreischen heute mit 120 dB in unsere ohnehin lärmüberfluteten Ohren. Sonst hätten sie vor dem allgemeinen Großstadtlärm keine Chance, überhaupt gehört zu werden.

Besonders Kleinkinder sind gefährdet. Die vor allem bei schenkenden Verwandten so beliebten Feuerwehrautos und andere Lärmmaschinen sollten besser aus dem Kinderzimmer verbannt werden. Auf Walkmen und laute Stereoanlagen verzichtet man, solange es eben geht. Und wenn die Kleinen größer werden, hilft vielleicht der Appell an die Vernunft. Die Töne, zu denen in Diskotheken getanzt wird, erreichen mühelos 110 dB.

Nun aber den Nachwuchs qua körperlicher Züchtigung vom lauten Musikhören abzuhalten, wäre in jeder Hinsicht verfehlt. Der Deutsche Arbeitsring für Lärmbekämpfung (DAL) warnt: „Eine Ohrfeige, bei welcher der Gehörgang durch die schlagende Hand vollständig verschlossen wird, wirkt auf das Ohr wie eine Explosion, was zu schweren Schäden des Mittelohres führen kann.“ KATHARINA JABRANE