Die Kehrseite der Existenz

Über die drei fundamentalen Rechte auf Kindheit, Meinungsfreiheit und Leben: Drei Filmemacher dokumentieren mit ihrem Film „Der Rücken der Welt“ an drei Beispielen die Verletzung von Menschenrechten in verschiedenen Ländern

Füße laufen im Schnee. Ein weißer Drachen tanzt am Himmel. Ein Auto fährt durch die Wüste. Bilder zu Beginn eines Films, der drei Geschichten erzählt: über Kinder, die in Peru durch das Hacken von Steinen ihr Geld verdienen. Über eine kurdische Familie, auseinander gerissen durch die Verfolgung in der Türkei. Über einen Mann, der in einer US-Todeszelle auf seine Hinrichtung wartet.

Der Peruaner Javier Corcuera und die Spanier Fernando León und Elías Querejeta wollten anlässlich des 50. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einen Dokumentarfilm machen. Nach langen Diskussionen kamen sie dazu, das Thema auf die drei fundamentalen Rechte Kindheit, Meinungsfreiheit und Leben zu reduzieren. Gemeinsam schrieben sie das Drehbuch, Querejeta produzierte und Corcuera führte Regie. Das Ergebnis, „Der Rücken der Welt“ („La espalda del mundo“) erhielt auf dem Festival von San Sebastián 2000 den Preis der Internationalen Filmkritik.

„Das Kind“: Es gibt keinen Erzähler, der den Zuschauer in die jeweilige Situation einführt, nur die Akteure sprechen. „Ich bin inzwischen daran gewöhnt“, sagt die zarte Stimme des elfjährigen Guinder aus dem Off über seine Arbeit. Dazu sieht man ihn und seine Freunde mit großen Hämmern aus einem Berg Steine schlagen, die sie hinterher verkaufen. Gegen Mittag bringt die Mutter Getränke und etwas zu essen. Die Kinder trinken gierig, stellen dann eine leere Flasche auf einen Stein und beginnen, mit kleinen Brocken nach ihr zu werfen. Manchmal nehmen sie sich das Recht, einfach nur Kinder zu sein.

„Das Wort“: Zwei Frauen stehen auf einem Hügel im Wind und reden darüber, wie mutig Leyla ist. Wer ist Leyla? Ihr Mann, der in Stockholm im Exil lebt, erzählt von den gemeinsamen Kindern in Paris. Immer wieder tauchen Fotos auf, Fotos von Verschwundenen, schließlich auch von Leyla selbst. Durch die Fotos, die Bilder im Bild, wird das Fehlen des Abgebildeten umso schmerzhafter deutlich. Der Höhepunkt der Annäherung an Leyla sind Videoaufnahmen, die ihre politische Laufbahn bis zur Parlamentsabgeordneten dokumentieren. Im Parlament spricht sie davon, dass Türken und Kurden Brüder sind. Dafür kommt sie 15 Jahre ins Gefängnis.

„Das Leben“: Thomas Miller-El sitzt seit 1986 in Texas in der Todeszelle und hatte bereits zehn Hinrichtungstermine vor sich. Der nächste und vielleicht letzte ist für den 21. Februar angesetzt. Er hat schon viele Freunde hier verloren und die Verzweiflung hat sich tief in seine Züge gegraben. In harten Schnitten wechseln Aufnahmen von Millers müdem Gesicht mit denen eines Gefängnisbeamten ab. Dessen routinierte Beschreibung seines Arbeitsalltags lässt keinen Zweifel daran, dass Miller-El seine Zelle nicht lebend verlassen wird. Während draußen Angehörige von zum Tode Verurteilten protestieren, scheint in dieser Zelle alle Hoffnung verloren zu sein. „Ich weiß nicht, was nach dem Tod kommt“, sagt Miller-El, „aber es kann nicht die Hölle sein, denn dort bin ich bereits.“

Ebenso, wie die Füße im Schnee, der Drachen und das Auto Ausschnitte aus den Geschichten sind, sind die Geschichten Ausschnitte aus der Wirklichkeit. Sie vermitteln durch ihre Intensität, dass Menschenrechte kein abstrakter Begriff, sondern ein fundamentales Bedürfnis sind.

DINAH STRATENWERTH

„Der Rücken der Welt“, Spanien, 1999, 25. 1., 19 Uhr Ibero-Amerikanisches Institut, Potsdamer Str. 37, Spanisch untertitelt; 27. 1., 15.30 Uhr, Filmbühne am Steinplatz, Hardenbergstraße 12, englische Untertitel