„Deine letzte Chance“

Vom Mainzer zum Rüsselsheimer Modell: In der Opelstadt wurde Kombilohn für Billigjobber erfolgreich etabliert. Lehre: Es kommt auf die Intensität der Betreuung durch extra Personal an

aus Rüsselsheim KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

„Das hat hingehauen“, sagt Jo Dreiseitel, grüner Sozialdezernent der Opelstadt Rüsselsheim zufrieden. Mit einem speziell auf die 60.000 Einwohner zählende hessische Kommune mit ihren rund 1.200 Sozialhilfeempfängern zugeschnittenen Kombilohnmodell haben Dreiseitel und seine Leute vom städtischen „Büro für Arbeit“ bislang exakt 33 Menschen dauerhaft in Lohn und Brot gebracht: 33 von 80 für den Arbeitsmarkt eigentlich schon verloren geglaubten Sozialhilfeempfängern ohne abgeschlossene Berufsausbildung.

Das seien „ungeschlagene 40 Prozent“, so der Stadtrat mit Blick auf das aktuell viel diskutierte Mainzer Modell und die noch laufenden anderen „Modellversuche Kombilohn“ in Hessen. Nach dem Mainzer Modell haben in ganz Rheinland-Pfalz nämlich gerade einmal 720 von 30.000 Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, die eigentlich für das Modell dort in Frage kämen, einen vom Land alimentierten Job bekommen (0,4 Prozent). Und in der von der Einwohnerzahl her mit Rüsselsheim vergleichbaren Domstadt Fulda in Hessen beträgt die „Erfolgsquote“ nur 6 Prozent.

Und was ist das Erfolgsgeheimnis der Rüsselsheimer? „Strenge Kriterien“ seien bei der Auswahl arbeitslosen Sozialhilfeempfänger anzulegen, sagt Dreiseitel. Die Probanden müssten nicht nur generell arbeitsfähig sein, sondern auch wenigstens seit einem Jahr Sozialhilfe beziehen und keine Leistungen mehr vom Arbeitsamt erhalten. Und das Projekt müsse permanent von kompetenten Verwaltungsmitarbeitern betreut werden.

Eine und eine halbe Stelle hat Dreiseitel vom Magistrat der Stadt für das dem Sozialamt angegliederte „Büro für Arbeit“ bewilligt bekommen. Dieter Bergmann und Marlies Müller putzen seitdem im Arbeitsamt und bei den Firmen in der Region die Klinken, um Jobs für den Modellversuch zu requirieren. Und sie stehen den Probanten nach erfolgter Vermittlung „laufend auf den Füßen“, so Dreiseitel. Man müsse den ehemaligen Sozialhilfeempfängern nämlich „immer und immer wieder sagen, dass das vielleicht ihre letzte Chance ist, auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder Tritt zu fassen“.

Ergriffen hat diese „letzte Chance“ etwa die 28 Jahre alte allein erziehende Mutter Karin Wehner *. Ohne das Kombilohnmodell hätte ihr und ihren beiden Kindern der neue Job als Hilfskraft in der mobilen Altenpflege gerade einmal 33 Euro mehr an Geld gebracht, als sie bisher an Sozialhilfe aufs Konto überwiesen bekam. Ganz bestimmt kein Anreiz, die verantwortungsvolle Arbeit anzunehmen. Jetzt legt die Stadt knapp 200 Euro drauf. Und während sie arbeiten geht, dürfen ihre beiden Mädchen den städtischen Ganztagskindergarten gebührenbefreit besuchen.

Auch Michael Wolf * ist nach vier Jahren Sozialhilfe endlich wieder in Lohn und Brot: für wenig Geld als Hilfskraft in einer Großgärtnerei. Das passt dennoch, denn der 32 Jahre alte allein stehende Mann brach einmal eine Gärtnerlehre ab. Mit der ergänzten Sozialhilfe nach den Bestimmungen des Kombilohnmodells bekommt Wolf jetzt 100 Euro mehr, als ihm – nach der Arbeitaufnahme – nach den bisherigen Berechnungsgrundlagen zugestanden hätte.

Das Rüsselsheimer Modell: ein Konzept also zur Lösung der Probleme auf dem Arbeitsbeschaffungsmarkt bundesweit? Dezernent Dreiseitel ist da skeptisch. Der Schlüssel zum Erfolg sei das „Büro für Arbeit“ – und das Engagement der Mitarbeiter dort. Für die Städte lohne sich das allemal, glaubt Dreiseitel. Rüsselsheim spart pro Sozialhilfeempfänger in Lohn und Brot im Schnitt rund 5.000 Euro im Jahr ein, auch wenn in einigen Fällen reduziert weiter ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt gezahlt werden müsse. 8 Probanden leben inzwischen sogar „völlig hilfefrei“. Da haben die Arbeitgeber beim Lohn etwas draufgelegt. „Einkommensgrenzenüberschreitung“ heißt das amtlich. Dreiseitel freut sich darüber: „So soll es sein.“

* Namen von der Redaktion geändert