Teil vom Patchwork sein

Erst blieben Zuschauer aus, weil zu viel Pop zu sehen war. Jetzt hat Basel ein neues Schauspielhaus bekommen. Es wurde von Stefan Bachmann mit einem geschlechtertauschenden „Hamlet“ eröffnet

von JÜRGEN BERGER

Die Sprachregelung lautet „Mehr als drei, weniger als zehn“. Jetzt, da das neue Basler Schauspielhaus nach jahrzehntelangen Querelen und Peinlichkeiten tatsächlich eingeweiht werden konnte, fielen unter der Hand doch noch Namen – aus dem Pharma- und Bankenadel. In Basel weiß man, wer die Damen der gehobenen Gesellschaft sind, die als „First Ladies “ den Neubau des Basler Schauspielhauses ermöglichten. Auch auf der Unterzeichnerliste zur Überführung der verbliebenen Swissair-Strukturen in die Crossair unter Beibehaltung des bereits bestehenden Crossair-Aufsichtsrates finden sich einige der Ladys wieder.

Damit wären wir bei dem Thema angelangt: Kann es tatsächlich sein, dass die Swissair Bankrott ging? Können nationale Symbole überhaupt Bankrott gehen? Die Schweizer leiden derzeit heftig. Da kann auch die Neueröffnung eines Schauspielhauses nicht wirklich für Beruhigung sorgen. Dass es die neue Basler Spielstätte jetzt tatsächlich gibt, hat die Metropole den ominösen „Mehr als drei, weniger als zehn“ zu verdanken. Sie haben den Karren aus dem Dreck gezogen, selbst gespendet und in den letzten vier Jahren eine wahre Spendenwelle ausgelöst. Ihre Identität wollen die Damen nicht preisgeben, obwohl sie ganz nebenbei auch die unsägliche Diskussion verstummen ließen, ob Basel tatsächlich ein Schauspiel brauche.

Am Donnerstag konnte man sich nun zum ersten Mal das Ergebnis ansehen. Von außen wirkt das neue Schauspielhaus in der Steinentorstraße und in nächster Nähe zum bereits existierenden Stadttheater entschieden unscheinbar. Innen ist es ein kleines Theater mit natürlich exquisiter Technik und bis zu 468 Sitzplätzen. Gekostet hat es 29 Millionen Franken, es ist also ein überaus billiger Theaterneubau. Da die Basler Ladys zwei Drittel der Summe per Spenden einsammelten, bekommen die Stadt und der Kanton den neuen Kulturraum bei einer Eigenbeteiligung von nicht einmal zehn Millionen Franken.

Das kann man bemerkenswert nennen. Im deutschsprachigen Theaterraum und vor allem in den neuen Bundesländern geht es derzeit ja hauptsächlich um Theaterfusionen und -schließungen. Das Ganze hat aber einen Beigeschmack. Arm ist Basel nicht, bedenkt man die Pharmakonzerne, die Steuern zahlen und den Rhein verpesten. Arm im Geiste ist eine Stadt aber allemal, die permanent ein Schauspiel infrage stellt, das in den letzten Jahrzehnten zum besten im deutschsprachigen Raum zählte. Die Lage spitzte sich in letzter Zeit noch einmal zu, da die Zuschauer wegblieben. Vor allem im Schauspiel fiel die Auslastung unter die Fünfzigprozentmarke. Da gehen wir nicht mehr hin, hatte der Basler gesagt. Er schmollte angesichts eines Spielplanes mit steigendem Popanteil und sperrigem Theatergut.

Jetzt geht er wieder hin. Fristgerecht zur Eröffnung des neuen Schauspielhauses konnte Intendant Michael Schindhelm für die erste Hälfte dieser Spielzeit insgesamt 27.000 Zuschauer mehr und eine Auslastungssteigerung von 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr vermelden. Es wird sich zeigen, ob das Publikum nach der Eröffnungsinszenierung des neuen Gebäudes bei der Stange bleibt. Inszeniert hat Schauspielchef Stefan Bachmann und die Titelfigur des „Hamlet“ mit Katharina Schmalenberg besetzt. Aufsehen erregend ist das nicht, nachdem Peter Zadek vor zwei Jahren Angela Winkler als Dänenprinzen inszenierte. Für Kopfzerbrechen sorgte eher, warum um alles in der Welt der nicht gerade elfenartige Christoph Müller als Ophelia angekündigt war. Katharina Schmalenberg kann man sich durchaus als knabenhaften Hamlet vorstellen. Müller dagegen als Ophelia? Ob das was werden kann?

Dummerweise wurde es aber zuerst einmal nichts mit dem Hamlet. Schmalenberg, die ansonsten brillante junge Schauspielerin, ist während etwas mehr als vier Stunden hauptsächlich damit beschäftigt herauszufinden, was sie denn nun spielen soll. Zu sehen ist ein müder Prinz, jähzorniger Knabe und manchmal auch ein analytischer Geist. Da auf jeden Fall aber immer bemühtes Schauspiel zu sehen ist, mag man Bachmann nicht unbedingt unterstellen, er habe nach der derzeit so vielbeschworenen Patchworkidentität gefahndet, die ja auch in zierlichen Prinzenkörpern ihr Unwesen treiben könnte.

Etwas einfacher hat man es da schon mit Müller als Ophelia. Er spielt mit Fistelstimmchen und stöckelt im Satinunterröckchen, hat vor allem aber damit zu kämpfen, die Figur gegen die Karikatur zu verteidigen. König und Brudermörder Claudius, die geile Gattin und Mutter Gertrud, die Hofschranze und der lieblose Vater Polonius sind Sachwalter einer kalten New Economy. Ihre Ränke schmieden sie im Baucontainer hinter Jalousien. Alles in allem wirkt das Bühnenbild wie eine Schrumpfvariante der Containerreihe, die Frank Castorf sich für seinen Züricher „Berlin Alexanderplatz“ bauen ließ. Bachmanns Inszenierung wirkt wie eine Westentaschenausgabe dessen, was er ansonsten zu bieten hat. Da hielt man sich am Ende doch lieber an den Monolog, den Albert Ostermaier zur Eröffnung des neuen Hauses geschrieben hat: „das wollen ist / das benzin unter unserer / haut und das theater / nichts als eine tankstelle / die für unsere sehnsüchte / die ganze nacht geöffnet / hat“. Die neue Basler Tankstelle war am Donnerstag hell erleuchtet, wirkte aber trotzdem, als habe sie gerade geschlossen.