Das Dream-Team

Exzellenz durch HipHop: Black-Studies-Star Cornel West wird vom Präsidenten der Harvard-Universität gerüffelt

Als W. E. B. DuBois 1903 das Jahrhundert der „color line“ voraussagte, war die Harvard-Universität noch eine exklusive Institution. Harvard verkörperte jenes Amerika, das sich einst, vom Geist der Aufklärung beseelt, die erste aller demokratischen Verfassungen gab, während Sklaven die Getränke reichten. Und DuBois war der erste Schwarze, der in Harvard seinen Doktortitel erhielt. Heute ist das angesehenste Institut für Afro-American Studies – es trägt DuBois’ Namen – dort beheimatet; die älteste amerikanische Universität rühmt sich ihrer Vorbildrolle bei der Förderung von Minderheiten und jeder neue Student kennt nach wenigen Tagen die Formel des offiziellen Selbstverständnisses: Exzellenz durch Vielfalt.

Diesen Grundsatz sehen prominente schwarze Professoren in Frage gestellt, seit Harvards Präsident Lawrence Summers dem wohl prominentesten unter ihnen, Cornel West, in einem informellen Gespräch letzten Oktober nahe legte, seine außerakademischen Aktivitäten zu reduzieren und sich mehr seiner Lehre zu widmen. West hat kürzlich eine HipHop-Platte eingespielt, absolviert mehr als hundert öffentliche Auftritte im Jahr und berät den umstrittenen Reverend Al Sharpton bei seiner Präsidentschaftskampagne. Zudem seien die Noten von Wests Studenten inflationär gut. West reagierte indigniert und einige Wochen später ließen die Stars des von Henry Louis Gates jr. geleiteten Afro-American-Studies-Programms durchblicken, dass man sich durchaus einen Wechsel en bloc zur Konkurrenz nach Princeton vorstellen könne. Jesse Jackson, notorischer Vermittler, schaltete sich ein. Die Angelegenheit war zum Politikum geworden, Anfang Januar beschäftigte sich sogar ein Leitartikel der New York Times mit dem Thema.

Summers, früher Bill Clintons Finanzminister, ist gerade ein halbes Jahr im Amt; es ist also nicht auszuschließen, dass er die diplomatischen Spielregeln einer Institution, die derart viel Geld zu verteilen und Prestige zu verlieren hat, gerade erst lernt. Sehr wahrscheinlich ist das jedoch nicht. Schließlich hatte er in seiner Antrittsrede auffällig wenig zum Thema Vielfalt gesagt. Folgerichtig begründeten die Professoren ihre Unzufriedenheit damit, dass Summers das Programm stiefmütterlich behandele und zu wenig für die Minderheitenförderung tue.

Solche Vorwürfe bauen auf historischem Boden. Das akademische Dream Team, das Gates seit den frühen Neunzigerjahren um sich versammelt hat, mag eine erfolgsverwöhnte Gesellschaft bestens bezahlter Wissenschaftler sein – dass es existiert, ist auch das Ergebnis einer Geschichte von Kämpfen, ohne die Fächer wie Black Studies an der Uni gar nicht gelehrt würden. Der Grundsatz der Vielfalt, der Konservativen heute als ein Beweis für liberale politische Orthodoxie gilt, musste erst durchgesetzt werden – und wird entsprechend argwöhnisch bewacht. Noch bevor Summers’ Vorgänger Neil Rudinstine Gates nach Harvard holte und ihm genügend Mittel und Freiheit für den Aufbau seines Programms gab, ging es dort nicht viel heterogener her als zu DuBois’ Zeiten. Und der neue Präsident hat offensichtlich erst kürzlich eine Initiative zum Aufbau einer Latino-Studies-Abteilung negativ beschieden.

Summers mag mit seiner Kritik am akademischen Engagement Wests richtig liegen oder nicht – Tatsache ist, dass er sich für seine Offensive eine Galionsfigur des in der Bürgerrechtsbewegung wurzelnden politischen Aktionismus ausgesucht hat. Einige Wochen bevor Summers das Amt übernahm, demonstrierten Studenten für einen höheren Grundlohn Hausmeistern und Küchenpersonal und besetzten wochenlang das Gebäude der Unileitung. Professor West erklärte sich, wie immer bei solchen Anlässen, solidarisch. Er ist charismatisch, populär und bezieht sich hin und wieder positiv auf verpönte Ideen wie Sozialismus. Machte Summers mit seinem Vorstoß nicht auch deutlich, dass er den Campus gerne frei von Politik sähe?

Als Summers schließlich mit einer öffentlichen Erklärung einlenkte, hagelte es Kritik von rechts, wo man es gern gesehen hätte, wenn er wie ein Fels in der Brandung des verhassten liberalen Establishments stünde. Die Argumente sind bekannt: West spiele die „race card“, die Praxis der Affirmative Action widerspreche dem Prinzip der individuellen Leistung und Afro-American Studies sei keine Wissenschaft, sondern eine Ideologie. Die Kulturkriege der Neunziger lassen grüßen. Und das Jahrhundert der „color line“ zieht sich hin – auch wenn jetzt doch alles beim Alten bleiben sollte in Harvard. Vielleicht auch gerade deshalb. KARSTEN KREDEL