Stasiakten sollen öffentlich bleiben

Marianne Birthler fordert rasche Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Bürgerkomitee Leipzig legt Reformvorschlag vor. Staatsminister Schwanitz prophezeit „wachsenden überparteilichen Konsens“. Ab 2003 droht Schwärzung von Originalakten

aus Leipzig RALF GEISSLER

Der Kinosaal der ehemaligen Leipziger Stasizentrale ist kein guter Ort für Jubiläumsfeiern. Über der Bühne schweben ergraute Vorhänge, die Stuhlreihen strahlen noch im Orange sozialistischen Einheitsdesigns. Doch die 100 Wissenschaftler und Bürgerrechtler, die am Sonnabend hierher kamen, waren ohnehin nicht in Partylaune. „Zehn Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz“ galt es zu begehen. Die praktische Anwendung des Gesetzes steht jetzt auf dem Spiel.

Schuld daran ist Helmut Kohl. Der Exkanzler verhinderte vor Gericht die Herausgabe seiner Stasiakten an Forscher und Journalisten. „Selbst SED-Funktionäre könnten die Veröffentlichung ihrer Akten nun stoppen“, fürchtet die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Marianne Birthler.

Im März soll vor dem Bundesverwaltungsgericht die Revisionsverhandlung stattfinden. Doch sie will sich auf ein neues Urteil nicht verlassen. „Das Gesetz ist unscharf formuliert“, urteilt Birthler, „das Parlament muss klarstellen, was es will.“

Strittig ist vor allem ein Nebensatz, der die Herausgabe der Akten Prominenter gestattet, „soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind“. Was ein Betroffener ist, sagt das Gesetz nicht. Das Bürgerkomitee Leipzig schlug am Sonnabend in einem ersten Reformentwurf vor, den Nachsatz zu streichen. An der Arbeit der Behörde würde das praktisch nichts ändern: Intime Details würden weiterhin geschwärzt, politische Informationen herausgegeben.

Ein prominenter Unterstützer dieser Lösung ist Rolf Schwanitz (SPD). Der Staatsminister für Ostdeutschland prophezeite in der Mitteldeutschen Zeitung bereits „einen wachsenden überparteilichen Konsens im Bundestag“. Doch es ist Wahlkampf und überparteilicher Konsens in solchen Zeiten selten. Birthler wünscht sich daher, „dass die Parteien um die Stimmen derer werben, denen an Aufarbeitung gelegen ist“.

Tilgen wollen die Leipziger Bürgerrechtler auch Paragraf 14, der „Betroffenen und Dritten“ ab 2003 die Möglichkeit gibt, die Schwärzung von Originaldokumenten zu verlangen. Das Herrschaftswissen der SED könnte für die Forschung damit unbrauchbar gemacht werden. „Da diese Regelung im nächsten Jahr automatisch eintritt, muss das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode geändert werden“, fordert der Autor der Änderungsvorschläge, Johannes Beleites.

Auch das Innenministerium erwägt eine Reform. Dort wird überlegt, die Frage der Aktenherausgabe nach Ost und West zu trennen. Einsehbar könnten künftig die Akten der Ostfunktionäre sein, aber nicht die der demokratisch gewählten Westpolitiker. Für Birthler ist das keine Lösung: „Damit handeln wir uns eine Ost-West-Debatte ein, die wir noch nie gehabt haben.“

Monatlich würden noch 5.000 Erstanträge auf Akteneinsicht in ihrer Behörde eingehen. Seit dem Kohl-Urteil läge ein Berg Anträge von Wissenschaftlern und Journalisten auf Eis. „Die Aufarbeitung hat gerade erst begonnen“, betont Birthler.