Konzert für Sopranspindel

Ein schräges Hörspiel über einen imaginären vergessenen Komponisten der Moderne amüsiert mit leiser Ironie und filigranem Dadaismus: „Musik aus Gägelow“, Deutschlandfunk, Samstag 20.05 Uhr

von GABY HARTEL

Man kann nur hoffen, dass das triste Nieselwetter noch bis Samstag anhält. Damit das Radio vor diesem Hintergund beweisen kann, was es so draufhat: Rettungsringe in den Nebel werfen, zum Bespiel, und versponnene Traumpfade vorgeben, wo ganz leise subversive Ironie brodelt. Keine Angst, hier wird nichts Eskapistisch-Ätherisches gegeben. Sondern ein schräges Hörspiel, das endlich mal nicht glaubt, sich vor der harten Medien- und Marktwirklichkeit rechtfertigen zu müssen. Und einfach nur mitreißend vorführt, was sich einer so ausmalen kann.

Eine nüchterne Stimme gibt im unterkühlten Nachrichtenton eine Entdeckung bekannt: Archivfunde hätten aus dem Staub des 19. Jahrhunderts einen vergessenen Komponisten herausgewühlt. Den Missing Letter sozusagen, das von der Fachwelt vermutete dritte „B“ neben Brahms und Bruckner: Albrecht Kasimir Bölckow, geboren 1816, gestorben 1902. Sein ganzes Leben verbrachte er im mecklenburgischen Gägelow und soll doch von da aus die musikalische Welt verändert haben. Und man vermutet, „dass die Moderne in der Musik ihren Ursprung in Gägelow hat“. Ausgerechnet: in einer Gegend, die – so ein Spezialist in dieser Sendung – zwar mit „Champagnerluft“ gesegnet ist, deren Effekt aber verfliegt, sobald man die Bewohner sieht . . .

Wie der geniale Unbekannte es trotzdem schaffte, rekonstruiert das Hörspiel (Regie: Ulrich Gerhardt) im scheinbar klassischen Format einer Musiksendung: Der seriös vernuschelter Experte E. O. Kuilmann (schön persiflierend gesprochen vom Autor Horst Hussel) redet schleppend über Macken und Leidenschaften des Komponisten. Wie er so abgedrehte Instrumente wie Bass-Schrack und Sopranspindel nach dem Vorbild von Insekten erfand und überhaupt aus Liebe zum Geräusch jedes Werkzeug vertonte, das nicht niet- und nagelfest war. Zum Glück war die Frau Litsch stets mit gebackenen Blinsen in der Nähe – man hätte sich sonst wohl um des Künstlers Seelenzustand sorgen müssen. Neben allen Details erhalten wir nebenbei auch Einblick ins gar nicht so romantische 19. Jahrhundert. Erfahren von der Abhängigkeit vom Sponsor (dem Erzherzog), den Sorgen um die Kleiderordnung bei Hofe und den unbestraften geistigen Diebstahl. Leise Kommentatorstimmen verlesen verlorene Briefwechsel und wiedergefundene Berichte. Dazwischen herrlich trockene Tagebuchnotizen. Und natürlich die von Gerd Bessler lustvoll rekonstruierten Proben der Musik mit Titeln wie „Die Dardanellen und die Amsel“ oder „Aria del Porco Cane“. Da lehnt man sich doch gern zurück, hört den anderen beim Auswalzen ihrer Kenntnisse zu (die messerscharf in Richtung Wissenschaftssatire zielen) und zittert unter den Tongemälden dieses nie gereisten Weltenbürgers.

Mit ruhiger Hand wird noch das kleinste Beweisstückchen umgedreht und in Schaukästen gesteckt wie Bölckows geliebte Vögel und Insekten. So dass es summt, kribbelt, rattert und schraggelt. Dass wir bei all den Namenslisten auch mal den Überblick verlieren, muss nicht weiter stören. Denn irgendwann verdreht sich die Sprache eh zum dadaistischen Lautgedicht.

Erst peu à peu schleicht der Verdacht sich ein, dass irgendwas nicht stimmt mit dieser scheinseriösen Sendung. Doch dann wird der fabulierte Nonsens umso deutlicher. Was bei Horst Hussel übrigens nichts Neues ist, macht doch der Ostberliner Autor und Buchkünstler seit Jahrzehnten seinen leisen, filigranen Dadaismus. Wenn das mal kein Widerspruch ist . . .