Im Jahr des Wendepunkts

Im Geist der Achtziger, Neunziger und auch des neuen Jahrtausends: Die Jungs der Galerie berlintokyo sind wieder da und feiern anlässlich der Veröffentlichung von Martin Eberles Fotobuch „Temporary Spaces“ eine Party im Würfel

Den gespielten Witz, den beherrschen die einstigen Betreiber der Galerie berlintokyo noch immer aus dem Stegreif. Genauso den Witz, den man auch nach dreimaligem Lesen oder Zuhören nicht wirklich versteht. Da teilen sie also auf ihrer Homepage mit, dass sie in den letzten Jahren „gereift“ seien. Mehr noch: dass sie „alles andere als untätig“ gewesen seien und sich mit ihren Aktivitäten gar „ein komplett neues Stammpublikum erschlossen hätten“. Und weiter: „Da nun erneut ein Wendepunkt in unser aller Leben erreicht ist, laden wir alle Freunde der Galerie berlintokyo zum Abschluss unserer vierjährigen Veranstaltungsreihe in den Würfel ein; den Ort, in dem wir in den letzten Jahren Ausstellungen im 14-tägigen Wechsel, Konzerte und Lesungen organisiert haben.“

Da überlassen sie es dann aber ihren Freunden, sich zu überlegen, warum sie in selbiger Mitteilung die Schließung der Galerie berlintokyo auf den Mai 1997 datieren. Und wie sie das überhaupt meinen mit dem Würfel als ihrer Homebase in letzter Zeit, einer Location, die keiner kennt und die in der einschlägig nicht gerade stark frequentierten Markgrafenstraße liegt. Am besten ist, man vertraut den Jungs von der Galerie einfach ganz fest. Die wissen schon, was sie so mitteilen, die wissen vor allem, wie sie gepflegt mit sich selbst ihre Scherze machen.

Nachdem die Galerie berlintokyo im Mai 1999 ihre Pforten schloss, so ist es historisch korrekt, sind die Betreiber derselbigen tatsächlich nicht untätig gewesen: Vredeber Albrecht ist gut mit seinem Projekt Commercial Breakup und demnächst öfter mit der Band Paincake (Uhe, Schneider, Hanayo) unterwegs; Jacob Karsten kümmert sich um das Wohlergehen der Puppetmastaz, mischt bei der Veranstaltungsreihe „Am Start“ mit und organisiert sonst hin und wieder eine schöne Party; Lutz C. Pramann malt, schreibt, liest und lebt; das Jeans Team sitzt mal bei MTV rum, um über Gott und die Welt zu sprechen, läuft mal bei Viva mit „Keine Melodien“, macht im Moment aber Pause, weil es geschlossen seinen Studienabschlüssen entgegenstrebt. Und Martin Eberle hat bekanntermaßen kürzlich seinen schönen, üppigen Fotoband „Temporary Spaces“ veröffentlicht: eine Art Vermächtnis für die Clubkultur der Neunziger und der eigentliche Grund dafür, dass heute Abend im Würfel gefeiert wird.

Natürlich hat in dem Buch auch die Galerie berlintokyo ihre Fotostrecke mitsamt den dazugehörigen Erinnerungsspotlights. Eines der vielen die Atmosphäre der Galerie berlintokyo gut beschreibenden kommt von einem gewissen Jim, der mutmaßlich den Nachnamen Avignon trägt: „Ich fühlte mich immer sehr zuhause, deswegen habe ich da gern auch mal ein Nickerchen in einem Sessel gemacht. Später, so um vier oder halbfünf, wenn der Mob wieder draußen war und der gebuchte DJ keine Lust mehr hatte, dann holten die Berlin Tokyo Jungs ihre eigenen Platten raus und alle gaben nochmal ein bis zwei Stunden lang Gas. Ich wette meinen Bart, dass das die eigentliche Geburtsstunde des 80s Revival war“. Ist es nun wahrlich kein leichtes, gerade von Revivals die genauen Geburtsstunden zu bestimmen, und erst recht, darauf noch Bärte zu verwetten, wo keine sind, so hat das mit den Achtzigern seine volle Berechtigung: Die wehten schwer durch die Galerie, die konnte man hier im vollen Effekt in Action sehen, mit Jeans, Lack, Nieten und anderem Tralala, nicht zuletzt weil die meisten der Galeriejungs genau in dieser Zeit sozialisiert worden waren. Und die standen später treu und brav Pate insbesondere bei den Alben von Vredeber Albrecht und dem Jeans Team, bei „Global Player“ und „Ding Dong“, wo man Verweise von New Order bis DAF finden konnte, von Scritti Politti bis Dschingis Khan.

Etwas mehr als nur die Achtziger war es dann aber doch, was in der Galerie berlintokyo passierte: immer wieder Liebeslieder, immer wieder sich neu erfinden, immer wieder die tollen Berliner Neunziger feiern. Uncool, krude, peinlich und daneben by nature sein. Kunst für ein Ausgehpublikum. Die Subversion der Subversion. Und so weiter und bis in alle Ewigkeit. Die Show muss schließlich weitergehen, die Jugend von 2001 braucht einen festen Halt im Leben. In diesem Sinn zieht die Galerie-Karawane heute in den Würfel und feiert nach dem großartigen Abend im Big Eden die zweite Post-Galerie-Party. Im Geist der Achtziger, der Neunziger und des neuen Jahrtausends.

GERRIT BARTELS

Heute Abend, ab 22 Uhr, Würfel, Markgrafenstraße 26, Mitte. Live treten Tok Tok vs. Soffy O und Lutz C. Pramann auf, die DJs sind alte Bekannte aus der Galerie berlintokyo