IN NIGERIA IST DIE JUNGE DEMOKRATIE IN HÖCHSTER GEFAHR
: Wenn Politiker zu Warlords werden

Nigerias junge Demokratie erlebt in diesen Wochen ihre schwerste Probe seit dem Ende der Militärherrschaft 1999. Die kaltblütige Ermordung des Justizministers Bola Ige, einst Held des demokratischen Widerstands gegen die Militärs, kurz vor Weihnachten im Schlafzimmer seines Privathauses erschütterte das politische Establishment des Landes nachhaltig, und diese Woche steht ganz im Zeichen seiner für Freitag geplanten Beerdigung. Mitten in diese Trauerzeit platzte am Dienstagabend die Nachricht von der Ermordung eines weiteren hohen Repräsentanten der nigerianischen Justiz, S. A. Awonusi, Privatsekretär des Präsidenten von Nigerias Oberstem Gericht. Er wurde auf offener Straße in der Hauptstadt Abuja erschossen. In beiden Fällen sind die Täter unbekannt.

Es ist bezeichnend für die Geringschätzung menschlichen Lebens in Afrikas bevölkerungsreichstem Staat, dass der Tod eines einzelnen Ministers mehr Aufsehen erregt als Massaker an Hunderten von Menschen in entlegenen Provinzen durch Militärs oder Milizen, wie sie seit 1999 regelmäßig stattfinden. Aber das mindert nicht die Schockwirkung. Stecken die Hintermänner der Morde in höchsten Kreisen des entmachteten Militärs, die das zivile Regime gezielt destabilisieren und damit dem nächsten Putsch den Boden bereiten wollen? Degeneriert die nigerianische Politik, traditionell schon ein erbarmungsloser Kampf um Macht und Einfluss zwischen Clans, endgültig in eine blutige Abfolge mafiöser Fehden?

Im Jahr 2003 stehen Wahlen in Nigeria an, die zweiten seit der Demokratisierung. 2002 ist daher das Jahr, in dem sich alle Politiker darauf vorbereiten und in Stellung bringen wollen. Nach dem Mord an Ige warnen örtliche Kommentatoren: Wer aus dieser kritischen Vorwahlzeit gestärkt hervorgehen will, darf nicht nur Parteipolitiker sein, der taktieren und seine Widersacher ausmanövrieren kann, sondern auch Warlord, der seinen Raum mit der Waffe verteidigen lässt. Doch wenn diese Logik den Sieg davonträgt, darf das kurze Experiment der Zivilisierung von Nigerias traditionell militarisierter Politik als gescheitert gelten. Jetzt, und nicht erst beim nächsten Wahltermin, entscheidet sich die Zukunft Nigerias. DOMINIC JOHNSON