Romantik im Blick

Wachsendes Interesse an der Sprache von Brecht und Beethoven: Über die Arbeit des Goethe-Instituts in Kairo

In der Bibliothek des Kairoer Goethe-Instituts begegnet man einem gemischten Publikum, Kopftuchträgerinnen etwa neben westlich gekleideten Frauen. Unter jungen Ägyptern herrscht ein großes Interesse an deutschem Kulturgut. Größte Nachfrage besteht dabei an den ausliegenden Tageszeitungen und Fachzeitschriften, und Kairoer StudentInnen greifen im Lesesaal vor allem zu Werken über deutsche Kunst, Architektur, Philosophie und Psychologie.

Leiter des seit 1942 existierenden Kairoer Goethe-Instituts, das jährlich 6.000 Kursteilnehmer verzeichnet, ist Bernd Pirrung. Der 58-Jährige ist einer jener Kosmopoliten, die sich dort wendig bewegen, wo andere Schwierigkeiten haben, auch nur die Straßenseite zu wechseln. In den Moloch Kairo verschlägt es ihn erstmalig 1972 – in seiner Tätigkeit als Physiker an die Uni. Nach weiteren Berufsjahren an deutschen Hochschulen sieht er sich bei einem Algerienaufenthalt endgültig vor die Alternative „Wissenschaft oder Ausland“ gestellt.

Bernd Pirrung entscheidet sich für Goethe und arbeitet ab 1979/80 erst in Schanghai, dann in Ghana und Elfenbeinküste. Seit Anfang 97 ist er in Kairo. Jetzt wird er allerdings nach Johannesburg wechseln.

Der Grenzgänger Pirrung betont die Wechselseitigkeit seiner Arbeit: Nach Wortlaut der Satzung ist das Institut eines zur „Pflege der deutschen Sprache und zur Förderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit“, das meint nicht eine „Förderung der deutschen Kultur“, gar deutscher Leitkultur: „Wir glauben nicht an den beschworenen Gegensatz der Kulturen, mit Bin Laden als Speerspitze eines feindlichen Islam, sondern setzen auf das Gegenteil.“

Und tatsächlich – entgegen dem weltweiten Trend nimmt in Ägypten das Interesse an deutscher Sprache weiterhin zu: Die drei deutschen Schulen in Kairo und Alexandria werden von 3.000 Schülern besucht; 70.000 ägyptische Schüler lernen Deutsch. An vier Kairoer Universitäten sind 1.800 Germanistikstudenten registriert. Und insgesamt soll es in Kairo 80.000 deutsch sprechende Ägypter geben. Dabei sind dem Lehrbetrieb weniger kulturelle als demographische Grenzen gesetzt: an nur einer von vier Kairoer Unis sind 140.000 Studenten eingeschrieben.

Andererseits muss in Zeiten, in denen massiert vom differenzierten Umgang mit den alten Orientklischees geredet wird, auch auf die positiven Vorurteile der „Gegenseite“ hingewiesen werden; Exotismus-Konstrukte gibt es hüben wie drüben, und das orientalisch-ägyptische Bild von Deutschland scheint stellenweise im 19. Jahrhundert stecken geblieben zu sein: Als der berühmte Regisseur Yussef Chahine letztes Jahr in Deutschland zu Besuch war, appellierte er gegen Huntington an das „Volk von Goethe und Beethoven“. Das war ebenso versöhnlich wie romantisch. Pirrung gibt sich pragmatischer: „Was die Vermittlung von Klassik und Moderne betrifft, versuchen wir, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen. Hinsichtlich der Moderne – und ihrer Ironie – reichen die Lehrinhalte bis Dürrenmatt, Tucholsky, Brecht – neuere Autoren bedürften da schon gesonderter Einführung.“

Methodisch setzt die Kairoer Dependance auf unspektakuläre, aber konkrete Arbeiten. Ein Beispiel bietet die aktuelle Schrottausstellung: Nach der Wiederentdeckung einer uralten Tradition des Bronzegießens entstand eine Arbeitsgruppe, in der sich deutsche und ägyptische Gießer über die verschiedenen Gießtechniken austauschen. Weiter: Das Jugendfilmfest, auf dem – neben Anke Hentschels „Im Sommer“ – schweizerische und tschechische Filme gezeigt werden, erfolgt in wechselseitiger Zusammenarbeit mit der ägyptischen Filmhochschule al-Minia und jungen Regisseuren. Und auf der letzten internationalen Buchmesse, einer alljährlichen Veranstaltung mit gewaltigem Publikumszuspruch, die von der Frankfurter Buchmesse getragen wird, lag ein Schwerpunkt auf der Jugendliteratur.

Vor dem Hintergrund der letzten Monate fügen sich all diese Tätigkeiten und Aufgaben in einen aktuellen und direkten Zusammenhang, der dem Goethe- Institut wieder einen klassischen Bildungsauftrag zuweist. Das Problem ist dieser Tage bekannt: Islamismus, militanter Antiamerikanismus entstehen nicht aus dem Nichts, sondern sind Produkte einer langen, absehbaren Entwicklung, die auch in der Bürokratie Ägyptens verankert ist, die über ihre zentralen Bildungsinstitutionen weder Utopien noch Realitätssinn, sondern im Wesentlichen ideologische Phrasen und Herrscherlob vermittelt. Da erscheint vielen das Säkularismusprojekt als wenig attraktiv, gar als gescheitert.

Nicht nur die Masse der aus ländlichen Gebieten und Armutsvierteln stammenden Erwachsenen greift in unsicheren Zeiten auf wertstabilen Traditionalismus zurück und sucht Zuflucht und Gemeinschaftsgefühl in islamistischen Organisationen: Auch an den Hochschulen erfolgt seit geraumer Zeit zielsicher die Rekrutierung von Islamisten – die Absolventen sehen momentan denkbar schlechten Zukunftsaussichten entgegen. Der Direktor des Goethe-Institutes formuliert hier den entscheidenden Auftrag: „Die Arbeit mit Jugendlichen ist von aktueller gesellschaftliche Relevanz“, und weiter: „Es kommt nicht von ungefähr, dass es sich bei den Ausführenden des Anschlags vom 11. September um dieselbe Gruppe handelt wie jene, die für das Attentat in Luxor verantwortlich ist: junge Studenten.“

AMIN FARZANEFA