GynäkologInnen bestreiken Vorsorge

Nach Gerichtsentscheidungen in Frankreich, die FrauenärztInnen zu Entschädigungen wegen der pränatalen Nichterkennung von Behinderungen verurteilen, setzen die GynäkologInnen die Frühuntersuchungen vorerst aus

PARIS taz ■ Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft finden in Frankreich vorerst nicht mehr statt. So haben es die GynäkologInnen entschieden. Schon seit Dezember machen viele von ihnen keine neuen Termine mehr für die Vorsorgeuntersuchungen in der 12., 22. und 34. Schwangerschaftswoche. Seit gestern befinden sie sich landesweit in einem unbefristeten Ultraschallstreik. Er wird in fast allen Krankenhäusern und Kliniken und von den meisten niedergelassenen ÄrztInnen befolgt.

Anlass des nie da gewesenen GynäkologInnenprotests sind zwei Gerichtsentscheidungen, die die Branche teuer zu stehen kommen. In zwei Fällen sprachen RichterInnen letzten November behinderten Kindern das Recht auf millionenschwere Entschädigungen zu. In den Urteilen ist von dem „Schaden, geboren worden zu sein“, die Rede. Zahlen sollen die GynäkologInnen, die bei pränatalen Ultraschalluntersuchungen nicht erkannten, was auf die werdenden Kinder und ihre Eltern zukam: Downsyndrom in einem Fall, Mehrfachbehinderung infolge einer Rötelnerkrankung der Schwangeren im anderen Fall.

Der nach einer der klagenden Familien benannte „Perruche-Entscheid“ (vgl. taz vom 29. 11. 01) löste vor allem bei Behinderten und ihren Angehörigen eine Welle der Empörung aus. Eltern demonstrierten gegen die „unerträgliche Diskriminierung“ ihrer Kinder und verlangten „nationale Solidarität gegenüber Behinderten“ statt des „Zwangs zur präventiven Abtreibung“. Selbsthilfeorganisationen sprachen von einer nie da gewesenen „Behindertenfeindlichkeit“.

Die härtesten Argumente benutzten die Versicherungen. Sie erhöhten unmittelbar nach der letztinstanzlichen Verkündung der Urteile die Prämien für GynäkologInnen um ein Vielfaches. Die betroffenen Ärzte und Ärztinnen sagen jetzt, dass sie diese Prämien unmöglich zahlen können. Von Regierung und Parlament verlangen sie umgehend gesetzliche Regelungen.

Die erste Gelegenheit dazu ist bereits im Dezember verstrichen. Unter dem frischen Eindruck der Gerichtsentscheide hatte der rechtsliberale Abgeordnete Jean-François Mattéi einen Vorschlag im Eilverfahren im Parlament eingereicht, in dem es unter anderem heißt: „Niemand kann eine Entschädigung für seine Geburt verlangen.“ Wenn eine Behinderung „direkte Folge eines Fehlers“ sei, schrieb Mattéi in seinem Reformvorschlag, müsse eine Entschädigung nach den Regeln des Code civile gesucht werden. Außerdem müsse die „Aufnahme und Integration von Behinderten“ verbessert werden.

Eine ebenso große wie ungewöhnliche Allianz, die von konservativen OppositionspolitikerInnen bis hin zu Abgeordneten aus den Reihen der kommunistischen Regierungspartei reichte, unterstützte den Vorschlag. Er scheiterte dennoch vorerst im Parlament. Die größte Regierungspartei, die sozialdemokratische PS, verhinderte mit taktischen Manövern eine Entscheidung im Eilverfahren.

Inzwischen stehen Dutzende von Gerichtsverfahren an, in denen Eltern wegen der nicht frühzeitig erkannten Behinderung ihrer Kinder klagen. Hinzu kommen die Proteste der von ihren Versicherungen gebeutelten GynäkologInnen und die heftige Kritik von Behindertenverbänden an der rot-rosa-grünen Regierung: Noch in diesem Monat soll deswegen die parlamentarische Debatte über den Mattéi-Vorschlag stattfinden.

„Ein Gesetz über den „Schaden, geboren zu sein“, darf es auf gar keinen Fall geben“, erklärt Marie-Sophie Dessaule, Präsidentin des größten Behindertenverbandes APE (Association des paralysés de France). Hingegen sei es sinnvoll, die Entschädigungsfrage für Behinderte und ihre Familien zu regeln, „ohne die Verantwortung auf die Ärzte zu schieben“. Die ganze Gesellschaft, so Dessaule, „ist verantwortlich für die Behinderten, ganz egal, was der Grund ihrer Behinderung ist“.

DOROTHEA HAHN