Friedliche Erzfeinde

Auf dem Jahreskongress des Chaos Computer Clubs waren Hacker, Telekom-Manager und Datenschützer einer Meinung: Die neuen Anti-Terror-Gesetze verletzen Grundrechte

von VERENA DAUERER

In den Tagen zwischen den Jahren ist man geneigt, wunderliche Dinge als gegeben hinzunehmen. Einen Haufen Männer zum Beispiel, die in Träubchen auf der Straße die Köpfe verschwörerisch zusammenstecken, bewaffnet mit standardisierten Umhängetaschen in Laptopgröße. Gut 2.300 Exemplare dieser Gattung insgesamt waren zum Wochenende nach Berlin ins Haus am Köllnischen Park gekommen, zum Chaos Communication Congress des Chaos Computer Clubs.

Hacker also. Der Begriff entstand in den 60ern am MIT, an der Kaderschmiede für elektronische Entwicklungen in Massachusetts. Ein Hacker möchte jemand sein, der mit Hingabe durch die Eingeweide von Technik und Software kriecht, um kreativ zu basteln und Mängel aufzuspüren. Gegründet wurde der Chaos Computer Club vor zwanzig Jahren von Wau Holland, der dieses Jahr fünfzigjährig starb. Wau, mit bürgerlichem Namen Herwart Holland-Moritz, kam auf diese Idee in den ersten Redaktionsräumen der taz am Tisch der „Kommune 1“. Bekannter wurde der Verein 1984 durch den Hack einer Sicherheitslücke im Btx-System der Hamburger Sparkasse. Die Beute von 134.000 Mark gab er didaktisch gesinnt zurück. In der Satzung steht, dass der Club für Informations- und Kommunikationsfreiheit eintrete, gepaart mit einem tiefen Misstrauen gegen Autoritäten und dem bemerkenswerten Gebot: „Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen.“

Der andere Grundsatz, wonach „Kabelsalat gesund“ sei, hat eine der Gründergeneration eher unangenehme Wahrheit hinzugewonnen. Die linken Computerrevoluzzer sind in der New Economy gelandet, schon auf dem Jahreskongress 1997 trieb Holland die Angst um, dass er zum „Trüffelschwein der Industrie“ verkomme. Heute sitzt der Clubsprecher Andy Müller-Maghun im Icann-Vorstand und wird von der New wie der Old Economy gern als kompetenter Gastredner eingeladen.

Das Selbstverständnis unter veränderten Feindbildern ist zum Problem geworden, Wo will der CCC hin? Will er immer noch sozialkritisch Chipkarten manipulieren? Sogar die Hassliebe zwischen Telekom und CCC, einst die innigsten Erzfeinde, hat sich zur Zweckbeziehung gemausert. Ohnehin waren seit Jahren immer Vertreter der einen Seite bei den Veranstaltungen der Gegenseite anwesend. Sie brauchten sich schon immer, der Exmonopolist der 80er-Jahre und der Untergrund, nicht umsonst zierte eine Diaprojektion des alten Bundespostlogos als mutierter Totenkopf eine Wand der Kongressgänge.

Jetzt aber vertragen sie sich öffentlich und machen gemeinsame Sache gegen das neue Anti-Terror-Gesetzespaket des Bundesinnenministeriums, das im November verabschiedet wurde: Auf einem Panel zum Datenschutz einte die Besorgnis Müller-Maghun, den Vertreter der Telekom, Thomas Königshofen, und den Berliner Beauftragten für Datenschutz, Hansjürgen Garstka, gegen die neuen Sicherheitsmaßnahmen, die Banken und die Telekom verpflichten, ihre Kundendaten der angeblichen Terroristenfahndung zur Verfügung zu stellen.

Die Telekom soll außer der „zielorientierten Überwachung“ ausgehender Telefonate an einzelnen Anschlüssen nun auch alle eingehenden Anrufe dem Verfassungsschutz übermitteln. Das käme einer groß angelegten Rasterfahndung gleich, so Königshofen, die den einschlägigen (und einschränkenden) Paragrafen widerspreche. Für Königshofen stellt sich damit „die Frage der Verhältnismäßigkeit“. So eine Abfrage für einen Anschluss, rechnet er vor, „dauert einen Tag, dafür bekommen wir ganze 25 Mark Aufwandsentschädigung. Wer soll den Rest bezahlen?“

Wir alle, und nicht nur in Euro. Beim quellenorientierten Reverse Lookup müssen die Anschlüsse aller 40 Millionen Telekom-Kunden durchsucht werden, um herauszufinden, wer einen Verdächtigen angerufen hat. Die Betroffenen dürfen nicht einmal über derartige Überwachungsbeschlüsse informiert werden. Deswegen will die Telekom bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Datenschützer Garstka stimmt zu. Eine „wirkliche Terrorismusbekämpfung“ kann er nicht erkennen, eher schon „am Ende eine große Luftblase“.

Cool wie Che Guevara

Um nicht in die Terrorismus-Ecke gesteckt zu werden, lautete das etwas einfallslose Motto des Kongresses: „Hacking is not a crime.“ Sondern ein Riesenspaß. Traditionell gehören zur Familenfeier des Clubs ein Hack-Center zum gegenseitigen digitalen Übungseinbruch, der Schlossknackwettbewerb „Lockpicking“, Softwarepräsentationen und Tutorials. Und schon länger konnten Berliner die blinkenlights zum zwanzigsten Geburtag des Clubs bewundern, die Lichtinstallation am Haus des Lehrers am Alexanderplatz: Mittels Lampen in den Fenstern wird die Vorderseite dieses Stolzes der DDR-Architektur zu einen Riesenbildschirm umfunktioniert, über den Symbole und Logos flackern können und zwei Handybesitzer miteinander das Uraltcomputerspiel Pong spielen.

Woran aber sind nun Hacker erkennbar, zumindest die männlichen? Denn Mädchen sind hier rar. Erst mal geht es so geschäftig zu wie auf der Automobilmesse: Meiner kann schneller und ich sowieso. Läuft man an ihnen vorbei, gucken sie kurz abwesend von ihrem PC auf und geben sich zumindest auf den ersten Blick nicht wie die friedlichen Helfer aus der Linux-Fraktion, die sich freuen, wenn sie einem Gutes tun und das Betriebssystem erklären. Oft sitzen sie zu zweit und tauschen Codes aus.

Sie surfen über Funklan im Web, aber die häufigste Seite ist auch bei ihnen nur die Suchmaschine Google. Dem Funknetzwerk war es zu verdanken, dass in drei Tagen die Tauschmania mit der Napster-Alternative Gnutella ausbrach: Immerhin darf man sich hier noch trauen, mit einem Gadget herumzulaufen, das älter als ein Jahr ist. Je verwanzter und ausgefallener, desto besser.

In die Kantine gehen Menschen mit Schlabberkapuzenpullis und Workerhosen zum Essen, den Laptop so selbstverständlich untern Arm geklemmt, als wär’s die Zeitung. Sie tragen uniform die Shirts des Kongresses mit dem Tastaturkürzel „Alt +F4“, dem Auge von Hal aus „2001 – Odyssee im Weltraum“ oder dem „18c3“-Logo: ein hochgetuntes RAF-Motiv mit rotem Stern auf schwarzem Grund, aber das Maschinengewehr ist durch eine Tastatur ohne die Tasten mit dem Windows-Symbol ersetzt.

20 Jahre sind ein gutes Alter. Cool wie ein Che-Guevara-Porträt auf einem Girlie-Shirt. Tatsächlich scheint die New Economy mit ihrem Jobmodell der Party als Aktienanlage die Mitglieder des Chaos Computer Clubs nicht korrumpiert zu haben. Der Lifestyle der Dotcommies ist den Nerds suspekt. Form follows function. Sie neigen eher zu Verschwörungstheorien, verehren die Qualitäten von Trash; Eleganz ist ihnen nicht geheuer, Glamour etwas für die da draußen, die keine Ahnung haben, was los ist in diesem inneren Zirkel, der verlötet ist wie die Innereien der Computer.

vdauerer@t-online.de