DANK EURO: DEUTSCHLAND VERLIERT DIE MEISTEN SEINER SUPERREICHEN
: Otto Normalmillionär

In drei Tagen verlieren wir nicht nur unsere geliebte Mark, sondern auch die meisten Millionäre. Das trifft viele, denn Superreiche sind in Deutschland längst nicht mehr eine exklusive und suspekte Randgruppe, sondern eine besitzende Masse. Nach dem Armut-und-Reichtums-Bericht der Bundesregierung haben mindestens 1,5 Millionen Haushalte ein derart großes Vermögen – mehr, als am Tropf der Sozialhilfe hängen. Es gibt also mehr Privilegierte als Diskriminierte. Nicht das Übelste, was man zur Vermögensverteilung sagen kann.

1960 gab es erst ungefähr 14.000 Millionäre. Heute sind es hundertmal mehr. Das liegt zum kleineren Teil an der Inflation, die die Vermögen aufgebläht hat. Aber weit mehr frische Millionäre verdanken ihren Wohlstand gestiegenen Aktienwerten, jahrzehntelang angesparten Lebensversicherungen, den Geräteparks ihrer mittelständischen Firmen und vor allem ihren Eigenheimen. Häuser und Wohnungen machen den größten Teil des Reichtums aus. Im Durchschnitt bestehen Deutschlands Privatvermögen zu drei Vierteln aus Stein, Beton und dem Boden darunter. Millionär ist heute, wer vor dreißig Jahren mit ein paar tausend mühsam zusammengesparten Mark ein Siedlungshaus mit Garten am Rand einer Großstadt kaufte. Der Rand ist längst mittendrin, die Grundstückspreise in den Städten sind explodiert. Oft sind die Grundstücke mehr wert als die Häuser darauf. Dabei ist längst nicht jeder Hausbesitzer Millionär, aber fast jeder Millionär hat ein Eigenheim oder eine opulente Wohnung. Die hat meist keinen siebenstelligen Wert. Dazu kommen oft Bundesanleihen, Sparbücher, Aktienfonds (Old Economy), ein bis zwei Mittelklasseautos und ein bisschen Schmuck – fertig ist der Pseudomogul.

Man sieht: Ins Klischee vom In-Saus-und-Braus-Leben mit Privatjet, Villa, Jacht und fürs Leben versorgten Kindern passt fast kein Otto Normalmillionär im Deutschland heute. Fast alle arbeiten bis zur Rente, viele führen knickrig Haushaltsbüchlein und grämen sich ob der Kosten für Benzin und studierende Kinder. Viele wissen nicht mal, dass sie nominell zum Klub der vermeintlichen Bonzen gehören. Sie wollen ihre Häuser nicht verkaufen und recherchieren nie die hohen Grundstückwerte; sie sehen keinen Grund, den Wert ihrer Badezimmereinrichtung, den Wert ihres Rentenanspruchs und den ihrer Münzsammlung zu addieren.

So wird zu Neujahr in Deutschlands Eigenheimvierteln auch keine Massendepression wg. Statusverlusts ausbrechen. Nur ein paar hunderttausend wahrhaft Reiche dürfen sich freuen: die Besitzer großer Villen, großer Depots und ganz großer Wagen. Endlich sind sie im feinen Millionärsklub wieder unter sich. ROLAND STIMPEL