Verbotene Fischerei

Die Störe im Unterlauf der Donau sind stark bedroht. Eine Studie des Donaudelta-Instituts zeigt erstmals das Ausmaß. Überfischung und Umweltverschmutzung dezimieren den Fischbestand

Ein Belugaweibchen kehrt erst nach18 Jahren in die Donau zurück.

von URS FITZE

Mit ausgebreiteten Armen stehen die Männer am Straßenrand bei der Donaubrücke in Giurgeni, 150 Kilometer östlich der rumänischen Hauptsstadt Bukarest. Nur den Autofahrern, die ihr Tempo drosseln, zeigen sie, was es mit der Geste auf sich hat: Stattliche Sternhausenstöre werden aus Verstecken geholt und präsentiert. Für einen Kilopreis von 100.000 Lei sind sie zu haben. Das sind rund vier Euro. Auf dem Marktplatz wird das Doppelte verlangt, im Restaurant das Zehnfache.

Eine Lizenz für den Störfang, wie es in Rumänien vorgeschrieben wäre, haben sie nicht. Doch das scheint hier niemanden zu kümmern – auch nicht die Polizisten, die in Sichtweite patrouillieren. Dabei gilt die Donau bei der Brücke, die den mehrere hundert Meter breiten Strom überspannt, als besonders gutes Störrevier. Es ist einer der selten gewordenen Laichplätze für verschiedene Störarten.

Auch zur Schonzeit im Frühjahr sei an der Brücke Kaviar zu kaufen, sagt Mircea Staras, wissenschaftlicher Direktor des Donaudelta-Instituts in Tulcea. „Die Qualität ist oft miserabel, und manchmal stecken in den Gläsern auch einfach schwarz gefärbte Forelleneier“.

Der kapitalste Fang, ein bis zu 400 Kilo schweres Belugaweibchen, hat den Wert eines Einfamilienhauses. Bis zu 70 Kilogramm Kaviar sind im Bauch des Fisches – bei Schwarzmarktkilopreisen von 100 US-Dollar entspricht das rund 200 Millionen rumänischer Lei oder dem Hundertfachen des Monatslohnes eines Wissenschaftlers in Rumänien.

Da ist es kein Wunder, dass sich die Fischer höchst zurückhaltend gaben, als Forscher sich bei ihnen über ihre Fänge und die besten Störjagdgründe zu erkundigen begannen. „Wir haben ihnen Anonymität zugesichert. Dennoch mussten wir manchmal zuerst den Schnaps kreisen lassen. Erst dann haben sie geredet“, schmunzelt Staras.

Die Mission war heikel: Wissenschaftler aus der Ukraine, Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien versuchten in Interviews mit den Fischern an der Donau und der Schwarzmeerküste an Basisdaten über Störfischerei und Laichgründe der Knochenfische heranzukommen. Das Ziel der von der Weltbank finanzierten Studie war die Ausarbeitung eines Bewirtschaftungsplanes für den Stör an der unteren Donau -– vom Kraftwerk am „Eisernen Tor“ an der serbisch- rumänische Grenze bis zur Mündung und den umgebenden Küstengewässern.

Die letzte wissenschaftliche Erhebung über die Störe in der Donau stammt aus den 50er-Jahren. „Wir wussten weder über die Laichplätze noch über die tatsächlichen Fänge Bescheid“, sagt Staras. „Deshalb haben wir uns an die Fischer gewandt. Sie sind die beste Quelle, die man sich denken kann“.

Und die schwierigste: Denn auch wenn die Kontrollen in allen Anrainerstaaten der Donau mehr als nur lasch sind – offen über seine illegale Fischerei Auskunft zu geben, berichtet Staras, sei keinem der befragten Fischer leicht gefallen.

Die Interviews hatten aber noch einen andern Zweck: Die 5.000 Fischer am 1.400 Kilometer langen Unterlauf der Donau und in den Küstengewässern des Schwarzen Meeres zu sensibilisieren für das immer dringlicher werdende Anliegen eines grenzüberschreitenden Bewirtschaftungsplans.

Offizielle Fangstatistiken geben ein völlig verzerrtes Bild der Situation. Danach hätten sich die Störfänge seit den 70er-Jahren von jährlich 300 auf gerade noch 30 Tonnen reduziert.

„Wir wissen aus Rumänien, dass höchstens ein Zehntel der Fänge gemeldet wird. Und auch zu sozialistischen Zeiten waren Fischer ohne Lizenz unterwegs, die die Schonzeiten nicht respektierten“, berichtet Staras. Aufgrund der Angaben der Fischer in den Befragungen werden die tatsächlichen Fänge der vier Störarten heute auf 400 Tonnen pro Jahr geschätzt. Mit der vor drei Jahren erfolgten internationalen Ausweitung der „CITES“-Konvention (Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten von wildlebenden Tieren und Pflanzen) auf alle Störarten hat sich die Lage ein wenig entspannt. Doch sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass etwa Rumänien wesentlich mehr Kaviar gewinnt als die fünf Tonnen, die dem Land zugestanden werde, sagt Staras.

Einig sind sich Fischer und Wissenschaftler, dass die Erträge und Bestände seit dem politischen Umbruch Anfang der 90er- Jahre zurückgegangen sind – sowohl quantitativ als auch qualitativ. Die Überfischung spielt zwar dabei eine große Rolle. Doch es ist nicht der einzige Faktor.

Die Donau hat ihr Gesicht in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Das gilt nicht nur für das Kraftwerk am „Eisernen Tor“, das seit seiner Eröffnung im Jahr 1972 jegliche Wanderung der Störe donauaufwärts verhindert. Ebenso dramatische Auswirkungen zeigen verschiedene Dammbauten in den Nebenläufen und in der Donau selbst.

Sie haben das ganze hydrologische System durcheinander gebracht. So erhöht sich die Fließgeschwindigkeit an einigen Stromabschnitten in Bulgarien und Rumänien zeitweise auf über zwei Meter pro Sekunde. Störe können stromaufwärts jedoch nur gegen eine Strömung von maximal 1,2 Metern pro Sekunde ankämpfen.

Aus dem Donaudelta ist Störlaich wegen der vielen hydrotechnischen Anlagen, deren Bau erst nach dem Sturz Ceaucescus eingestellt wurde, fast vollständig verschwunden. Rund ein Viertel des Deltas wurde trockengelegt. Dazu wurden zahlreiche neue Verbindungskanäle gegraben.

Die höhere Fließgeschwindigkeit der Donau beeinflusst auch den Sedimenteintrag im Delta: Heute lagern sich deutlich mehr Schwebstoffe ab. Der Bestand von im Sediment lebenden Würmern ist rückläufig. Dabei sind sie die Nahrungsgrundlage für den Störnachwuchs.

Nicht abschätzbar sind die Folgen der Aussetzung von Störfingerlingen in der Donau aus einer Fischzucht in Plovdiv, einer 200 Kilometer südlich der Donau gelegenen Stadt in Bulgarien. „Es sind aus der Wolga importierte Arten. Wenn sich diese mit den Donaustören vermischen, könnte das deren in Jahrmillionen entstandenen Genpool völlig durcheinander bringen“, befürchtet Staras.

Trotz der vielen Hindernisse, denen Störe in der Donau begegnen, haben Staras und seine Kollegen bei den Fischerbefragungen und mit Telemetriedaten erstaunlich viele Laichplätze gefunden. Sogar in unmittelbarer Nähe zum „Eisernen Tor“ fanden sich Laichgründe.

„Wir müssen diese dringend unter Schutz stellen“, fordert Staras. Denn trotz der ermutigenden Resultate sei ungewiss, wie lange die Störe noch den Weg donauaufwärts finden. Ein Belugaweibchenkehrt erst nach 18 Jahren in die Donau zurück, um abzulaichen.

„Wir kennen die Entwicklung der Bestände in den letzten beiden Jahrzehnte nicht genau. Wenn sie in den vergangenen Jahren tatsächlich so dramatisch gesunken sind, wie die Fangquoten erwarten lassen, steht uns der eigentliche Einbruch erst noch bevor“.

Zehn Maßnahmen haben die Wissenschaftler in einem „Action Plan“ zur Umsetzung empfohlen. Er umfasst unter anderem die konsequente Einhaltung der Schonzeiten, eine strikte Lizenzvergabe und den Aufbau einer Vermarktungsorganisation, die auch die Fischer miteinbezieht.

Gratis wären diese Maßnahmen nicht zu haben. Aber 470.000 Euro sind nicht zu viel Geld, wenn das Überleben der Donaustöre auf dem Spiel steht. Doch es mangelt nicht nur an den Finanzen, sondern vor allem am politischen Willen: In die Praxis umgesetzt worden ist bislang keine der empfohlenen Maßnahmen.