Erster Mai mit zwei Weihnachtsmännern

Eigentlich wohnt der Weihnachtsmann in der Polarzone. Aber auf dem Alexanderplatz begegnet man ihm auch. Warum verkauft er Luftballons?
von KAJA GRUNTHAL, Finnland

Der echte Weihnachtsmann, Joulupukki, stammt aus Finnland so wie ich auch. Er hat seine Werkstatt in der Polarzone nahe der Stadt Rovaniemi. Zur Weihnachtszeit ist er in Eile und reist durch die ganze Welt, um den guten Kindern Geschenke zu geben. Man weiß nie, wo man ihn treffen kann.

Ich treffe den Weihnachtsmann am Alexanderplatz. Er verkauft Luftballons und sieht sehr echt aus: Seine Kleider sind rot, und er ist freundlich. Aber warum verkauft er Luftballons? Der Weihnachtsmann erzählt, dass er ein ehemaliger Fotograf einer guten Zeitung ist. Aber dann kam ein Bankrott, und es war Schluss mit dieser Zeitung. Heute verdient er sein Geld deswegen mit Luftballons. Zur Weihnachtszeit hätte er in Finnland nichts zu tun, aber am ersten Mai sollte er dort hinfahren, stimmt er zu. Zum ersten Mai werden nämlich in Finnland Tausende von Luftballons verkauft.

Fettgeruch am Alex

Ein zweiter Weihnachtsmann läuft über den Alex. Ohne Luftballons sieht er besonders echt aus. Doch er sagt, kostenlos darf man ihn nicht fotografieren. Auch er muss verdienen. Dann geht er weiter und verschwindet zwischen dem Karrusell und den vielen kleine Hütten, wo man überall rosa Teddybären gewinnen kann. Fett liegt in der Luft. Es ist alles wie auf dem vappu – das ist das große Frühlingsfest am ersten Mai in Helsinki –, nur mit zwei Weihnachtsmännern. In Helsinki gibt es zwar im Dezember auch Weihnachtsmärkte. Aber die sind klein und finden meist in Schulen statt. Der größte wird in einer alten Kneipe veranstaltet, sie heißt „Vanha“. Hier werden haupsächlichKerzen und Handarbeiten, Gewürze und andere Geschenke verkauft.

Dafür sind in Helsinki aber viele Einkaufsstraßen mit Weihnachtsmotiven beleuchtet. Und ein riesiger Weihnachtsbaum wird aus dem Wald geholt und vor den Dom gebaut. Daneben steht jedes Jahr ein kleiner Dom aus Schnee.

Auf dem Alexanderplatz dagegen weiß ich nur wegen der Weihnachtsmänner, dass es Weihnachten ist. Die Leute essen. „Vorsicht Fettspritzer. Für Schaden keine Haftung“, oder „Stets frische Schmalzkuchen“, „Hmm. lecker Quarkbällchen“. Alle essen Knacker, Wiener, Rostbratwurst, Bockwurst, Nackensteak, Sauerkraut, Bratkartoffel, original erzgebirgische Bratwurst oder einfach einen halben Meter davon. In Finnland dagegen findet das große Essen nur am 24. Dezember statt. Am Tag wird der Weihnachtsbaum geschmückt, am Abend die Sauna geheizt. Dann gibt es traditionell Schweinefleisch oder Ente aus dem Ofen und als Nachspeise Reisbrei mit einer Mandel. Wer die Mandel bekommt, wird als Nächstes heiraten. Später gehen manche noch in die Kirche, aber traditionell geschieht das zum 25. Dezember. Und obwohl nicht alle gehen, kommt der Weihnachtsmann in alle Häuser. Der Nikolaus dagegen kommt nicht nach Finnland. Am 6. Dezember habe ich in Berlin auf meinem Schreibtisch einen Teller mit Süßigkeiten gefunden. Meine finnische Kollegen mussten dafür nicht arbeiten. Sie feierten den 84. Selbstständigkeitstag Finnlands.

An der Gedächtniskirche ist die Stimmung auf dem Weihnachtsmarkt ähnlich wie am Alexanderplatz. Vor dem Hotel „Boulevard“ höre ich zum ersten Mal ein Weihnachtslied, „Oh, du Fröhliche“. Ein Passant macht im Takt des Liedes den Kapellmeister und sieht aus wie eine Puppe. Vor ihm liegt eine Fahne der USA auf der Straße. Er fällt auf, aber auch er ist nicht der Weihnachtsmann.

In Helsinki spielt das Radio in und vor allen Kaufhäusern Weihnachtslieder. Und alles ist in Rot, Grün und Gold dekoriert. Es ist nicht möglich, die Angelegenheit zu verpassen. In Berlin dagegen schon. Als ob Weihnachten freiwillig ist. Die Dekoration des Kaufhauses am Alexanderplatz sieht bescheiden aus: „Von führenden Weihnachtsmännern empfohlen“, steht nur auf einem großen Plakat an der Fassade. Und im Haus muss man auch nach dem Weihnachtsmann suchen. An der Rolltreppe steht eine junge Frau vor einem kleinen Weihnachtsmann, der Rock ’n’ Roll tanzt. „Total Kitsch“, sagt die Frau. Sie ist total zufrieden. Und dann sitzen da noch zwei Weihnachtsmänner, einer beobachtet starr die Rolltreppe, der andere die Kleiderständer. Es sind nur Puppen. Wenn man bis unters Dach fährt, dann findet man noch zwei.

Unter den Treppen am U-Bahnhof Alexanderplatz bewegt sich noch etwas Rotes, ein Mann in rotem Mantel. Da ist er endlich: Der Bart ist grau, die Nase rot, der Bauch groß. Der dritte Weihnachtsmann spielt Akkordeon und singt russische Volkslieder vor verschiedenen Plakaten und dem Nichtraucherschild. „Komm und sing mit mir!“, schreit er. Warum nicht. Neben ihm liegt eine Schachtel mit Münzen. Auch er muss verdienen.

Auf der Polizeistation

In Helsinki erzählt man sich gerne, wie ein betrunkener Weihnachtsmann vor der Tür ausgerutscht oder dass ein anderer, der genauso betrunken war, in der Toilette der Familie, der er Geschenke bringen sollte, eingeschlafen ist. Das war eine schöne Bescherung. Und es heißt, man solle nur mal zu Weihnachten in eine Polizeistation gehen. Da säßen dann Dutzende Weihnachtsmänner hinter Schloss und Riegel, um auszunüchtern. Vielleicht sind diese Berichte nicht wahr. Aber die Weihnachtsmänner sind natürlich auch nicht echt.

Der echte Weihnachtsmann ist immer noch in Rovaniemi. Vor Weihnachten fahren deswegen sogar Familien aus Estland zuerst mit dem Schiff nach Helsinki und dann noch mit dem Bus Tag und Nacht durch Finnland bis hinter den Polarkreis, um ihn zu sehen. Japaner und Engländer kommen selbstverständlich mit dem Flugzeug. Er ist da. Wer das nicht glaubt, soll selbst nach Finnland fahren.

Joulupukki-Expertin Kaja Grunthal, 33, Journalistin aus Helsinki, erlebt gerade ihr erstes Weihnachten in Berlin