Die Schweiz: Nur einen Hauch besser

Gern beweist man mit ihr die Güte der dreigliedrigen Schule. Aber die Schweizer Schule ist kaum besser als die deutsche

BERN taz ■ Wer in Deutschland am dreigliedrigen Schulwesen mäkelt, wird gern auf die Eidgenossen verwiesen: „Auch ein gegliedertes Schulsystem wie in der Schweiz erzielt bessere Noten als wir“, sagt etwa die Berliner Alt-Schulsenatorin Sibylle Volkholz gern – und hat damit Unrecht. Nur im Rechnen sind die Schweizer besser. Im Lesen sind sie genauso schlecht: 20 Prozent aller 15-jährigen Schweizer Schüler sind dem Analphabetismus nahe – Deutschland ist mit 23 Prozent nur um einen Hauch schlechter. In Finnland gibt es dagegen nur 7 Prozent auf diesem Niveau.

Die OECD-Untersuchung (Programme of International Student Assessment, Pisa) verfolgt zudem die berufliche Stellung der Eltern. Entscheidend für die Leistung der Schüler ist danach die familiäre Herkunft. Auch da ist die Schweiz kaum besser als Deutschland, wo sich soziale Nachteile in der Schule sogar verstärken.

Martin Stauffer von der EDK (Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektionen) winkt ab. Er glaubt nicht, dass sich deshalb die Schulstrukturen verändern werden: „Die Gesamtschule wird in der Schweiz kein Thema. Der Kanton Tessin betreibt weniger Auslese und kommt auch nicht auf bessere Resultate.“ Stauffer schlägt vor, Schüler leichter zwischen den Leistungsstufen auf- und absteigen zu lassen.

Das dreigeteilte Schulsystem der Schweiz ist in der Praxis eher ein zweigeteiltes. Sechs Jahre besuchen alle Schweizer gemeinsam die Primarschule. Danach steigen sie in die Sekundarschule auf – oder gehen bereits in das Untergymnasium. Die Mehrzahl tritt aber erst ab der achten oder neunten Klasse ins Gymnasium über. Warum aber ist die finnische Einheitsschule so famos?

„Länder, die besonders erfolgreich in ihren Bemühungen waren, die Folgen sozialer Benachteiligungen zu mildern“, so klärt die Pisa-Studie auf, „zählen zugleich zu den Ländern mit den insgesamt gesehen höchsten Schülerleistungen.“ Neben der Einheitsschule heißt das im Alltag: Migrantenkinder aktiv zu integrieren und Schüler individuell zu fördern. Deutschland und die Schweiz sind dabei besonders erfolglos.

An den fehlenden Mitteln kann es nicht liegen: Bei den Gesamtausgaben pro Schüler rangiert die Schweiz auf Platz vier (64.266 Dollar) – ein miserables Preis-Leistungs-Verhältnis. Geld hilft wenig gegen Ungleichheit, wenn es ungleich verteilt ist. Der Kanton Zug – das Steuerparadies der Schweiz – zahlt für seine Volksschule ein Drittel mehr als der Hochsteuerkanton Neuenburg. Wer es sich leisten kann, zieht um.

„Sind unsere Schüler Trottel?“, titelte das Boulvardblatt Blick nach Pisa. Doch die Frage verhallte unbeantwortet. Auch kein Echo aus den Reihen der Lehrerorganisationen und Parteien. Swissair-Debakel, Gotthard-Brand, Crossair-Absturz ... die Schweiz erträgt keine nationalen Katastrophen mehr. „Zusätzlich zu den laufenden Bildungsreformen irgendwelche medienwirksamen Maßnahmepakete zu verkünden, wäre Aktionismus“, meint Martin Stauffer vom EDK. Ganz wie die deutsche KMK will man auch bei den Eidgenossen bis Ende 2002 mit echten Konsequenzen warten. Bis dahin haben weitere hunderttausend 15-Jährige die Schule abgeschlossen. SIMON JÄGGI