Neu in der Welt sein

Digital ist gut bis besser, analog aber auch nicht schlecht: Eine Diskursveranstaltung über die interaktive Bühne im neuen Tempodrom

Schon oft wurde die Ansicht geäußert, das aktuelle Vernetzungsdogma bringe uns nicht nur neue, sondern bereits vergangene Kommunikationsformen wieder. Das Internet, so glauben manche, sei so etwas wie die Wiederkehr der Agora, des Ortes der Volksversammlung im antiken Griechenland. Wenn man also eine Versammlung abhalten möchte, bei der es um Konzepte für neue Veranstaltungsräume gehen soll, dann ist das neue Tempodrom mit seinem Amphitheater-Charme wohl der geeignete Ort.

Am Wochenende traf man sich dort, um über die interaktive Bühne zu sprechen. Den Raum zwischen Zuschauer und Bühne verschwinden zu lassen: laut Tempodrom-Erfinderin Irene Mössinger eine bald 20 Jahre alte Idee, welche nun, am neuen Ort, in Realität umgesetzt werden soll. Aber ohne die alten Fehler, ohne Interaktionsmodelle also, die aus Sicht der Maschine gedacht sind. Nur am Bildschirm sitzen will man aber auch nicht so gerne, und so geht es vor allem darum, einen Ort zu schaffen, der Mischformen von Interaktion erlaubt.

Die einzurichtende elektronische Arena „e_drom“ soll ein permanenter, ebenso realer wie virtueller Veranstaltungsraum werden. Gestaltungsprofessor Joachim Sauter von der UdK stellte seine faszinierende Bühnenbildproduktion vor. Für die nächste Operbiennale in München plant er eine quasi virtuelle Bühne, in welcher der Raum, eine auf drei Projektionsflächen aufgespannte Bunkerarchitektur, sich dynamisch generiert, und zwar abhängig von der Musik und von der Bewegung des Protagonisten. Dagegen konnte das „music navigation space“ des LAB aus Brüssel nur kurze Zeit wirklich faszinieren. Die in dieser „Architekturstudie“ angestrebte Verknüpfung von Musik, Bild, Raum mit der Bewegung des Users geschieht auf zu eindimensionale Art. Der Spielspaß am Bildschirm geht wie bei vielen Computerspielen eher schnell verloren: eine veraltete Interfaceform.

Schließlich demonstrierte Klaus Nikolai vom Festspielhaus Hellerau noch pädagogisches Interesse: neue Interaktionsräume sollten insbesondere „das Innen und das Außen“ in ein neues Verhältnis bringen und uns zu neuer, aperspektivischer Wahrnehmung befähigen. Ein heuristisches Projekt also: „die neue Art, in der Welt zu sein“. Symposion übrigens durfte das Ganze nicht heißen, wegen ungewollter akademischer Assoziationen wohl, stattdessen: Chautauqua. Dieser Begriff spielt auf Versammlungsformen an, welche an einer am Chautauquasee (New York) gelegenen Institution für Erwachsenenbildung abgehalten wurden. Wie dort solle es im e_drom eher um ein „Konzept lebenslangen Lernens“ gehen, um „Laborcharakter statt Leistungsshow“.

Etwas mehr akademische Sorgfalt hätte man sich dann aber doch gewünscht. Eines der Panels fiel aus, Referenten kamen zu spät, waren unvorbereitet oder blieben gleich ganz weg. Besonders übel: das Panel „elektronische Musik“ mit einem gänzlich moderationsunfähigen Moderator Pit Schulz (Clubradio Berlin) und einer handvoll müder Mikrofonnuschler. Auch abends, als die Theorie zur Praxis werden sollte, sprang der Funken nicht über. Das lag weniger an den Künstlern als am mangelnden Zuspruch beim Publikum.

Ein Versuch sollte dieses „Chautauqua“ sein, und als solcher ist er wahrscheinlich nur insofern gescheitert, als auch für Provisorisches eine gute Vorbereitung vonnöten ist. Dass solche Hybridveranstaltungen durchaus funktionieren können, zeigen die entsprechenden Bemühungen an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Die betonkalte Grazie des schönen neuen Tempodroms ist dafür ein mindestens ebenso gut geeigneter Ort. SEBASTIAN HANDKE