Guter Schrott an geheimem Ort

■ „Stereo Total“ aus Berlin war da

Ihre Musik klingt wie eine Liaison aus Zuckerwatte und Sirenengeheul. Klebrig elektrische Haftcreme fürs Ohr. Sie erinnert ein bisschen an die Zeit, in der Cowboystiefel und neonfarbene Leggins hip waren. Stereo Total, ein musik-gewordenes Manifest deutsch-französischer Freundschaft aus Berlin, spielte an einem geheimen Ort in B. an der W.

Die Szene-Stille-Post funktionierte: Der geräumige Raum war bis auf die letzten fünf Quadratzentimeter Zehstehfläche gefüllt. Doch bis Françoise Cactus und Brezel Göring auf der Bühne erschienen, drangen erst einmal die beiden Vorbands in die Irrungen und Wirrungen des Zuschauergehörs. „Pancakes“, eine zierliche Dame namens Miss Dejay aus Hongkong überzeugte mit ihren Synthesizerklängen. Nach dem ersten Song kündigte sie gleich ihr letztes Lied an, dem noch viele folgten. „Das Stück heißt Tribute und ist für alle Leute, in die ich verliebt hab.“ „Ist die süß“, so die Meinung des Publikums. Danach kam die Band „neoangin“, bestehend aus Jim Avignon aus Berlin. Zwar ein kreativer Kopf, der seine Stücke mit verschiedenen Bühnenbildern untermalte – ansonsten die Stimmung jedoch eher dämpfte.

Machte aber nix, denn kam das Publilkum in den schrägen Hörgenuss von Stereo Total, die frontal vor einer von Jim Avignon gemalten Stereoanlage erschienen. Madame Ampère sang sogleich mit französischen Akzent ein Lied „über ein Mädchen mit langen Beinen und langer Nase“ und entweihte daraufhin das französische Nationalheiligtum, die „Route 7“. Ein Song, der eigentlich ein Klassiker des kürzlich verstorbenen Charles Trenet ist – „der Lieblingssänger meiner Mutter“, verrät Frau Cactus.

Brezel Göring haut dazu in die Tasten des Synthesizers, vor dem die aufgestellte Flügelattrappe nicht wirklich die Illusion von einem Piano aufkommen ließ. Seine selbst gebastelt wirkende, rechteckig-goldene Gitarre kam der Realität da schon näher. Die Mischung aus französischen Chansons, Punkrock, New Wave und Garage spiegelte sich auch im Publikum wieder. Frauen mit Bobfrisur, Stehkragenhemd und kleinen ledernen Schulmappen auf dem Rücken schwangen ebenso die Hüfte wie Punks mit Dreadlocks. Andere Zuhörer pusteten Seifenblasen in die Luft – schillernd wie die musikalischen Perlen, die frech daherkommen wie bei „Du bist schön von hinten“ – aber ganz bestimmt trashig und verstimmt klingen. Guter Schrott eben, zu dem das Duo auch selbst gerne mal das Tanzbein schwingt. Dann drückt Brezel einfach die Playbacktaste und Frau Cactus steht von ihrem Schlagzeug auf, um mit ihm über die Bühne zu hüpfen. Und da es sich bei dem Stück „Wir tanzen im 4-Eck“ von ihrem neuen Album „Musique Automatique“ besser mit mehreren grooven lässt, holt sie die Zuhörer einfach mit auf die Bühne. Wir glauben Françoise aufs Wort, wenn sie singt „Nein, ich bin kein girlie, keine Heidi.“. Sörre Wieck