Räume zwischen Macht und Freiheit

Soziokulturelle Zentren: Schon Teil des Establishments?– 2. „Ratschlag“ in Altona  ■ Von Christian Rubinstein

Am Wochenende trafen sich VertreterInnen von soziokulturellen Zentren mit Fachleuten aus Verwaltung und Polik zum 2. Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur im Altonaer Rathaus. Während der Tagung, die den Titel Räume der Freiheit – Entwicklung und Perspektiven in der Soziokultur trug, diskutierten sie mit KollegInnen aus anderen Bundesländern Perspektiven einer stadtteilbezogenen Kulturarbeit. Nach Einzelstatements am ersten Abend begann der zweite Tag mit Arbeitsgruppen. Stadtentwicklung durch Kultur, Reform der staatlichen Förde-rungspraxis und Entwicklung neuer Kulturformen waren die Themen.

In der Diskussion wurde immer wieder an die Anfänge erinnert: Am Beginn der Bewegung für Soziokultur stand der Kampf um Räume. Freiräume sollten es sein, die eine Gegenkultur möglich machen. Die entstehenden soziokulturellen Zentren wollten eine Kultur für alle bieten, im Gegensatz zur Hochkultur des Bildungsbürgertums. Inzwischen sind die ehemals mit viel Initiative und ehrenamtlicher Arbeit angeeigneten Räume Teil von Institutionen. Die Zentren bekommen institutionelle Förderung vom (Stadt-) Staat, die AktivistInnen von gestern haben sich Planstellen geschaffen. Provokantes Fazit eines Diskussionsteilnehmers: Die Soziokulturellen Zentren sind zu Machtzentren geworden.

Nun ist Macht bekanntlich ambivalent, es kommt darauf an, wie und wofür sie eingesetzt wird. Worin liegt also die Bedeutung der Kulturzentren im Stadtteil? Reinhold Knopp, langjähriger Geschäftsführer des soziokulturellen Zentrums zakk in Düsseldorf, sprach in seinem Eingangsreferat von einem Doppelcharakter: Einerseits seien die Zentren mit ihrem Veranstaltungsangebot und ihren Raumnutzungsmöglichkeiten Institution, die einen Teil der Lebensqualität im Stadtteil ausmache. Andererseits könnten sie aber auch Diskussionen anstoßen und so ihren Charakter als Initiative bewahren. Dann postulierte Knopp einen strategischen Vorteil von soziokulturellen Zentren: „Sie sind relativ unabhängig von Verwaltungshierarchien.“ Ein spontanes „Ach“ echote aus dem Saal.

Einen partiellen Rückzug der Zentren kritisierte Joachim Boll, Inhaber eines Büros für Projekt-Kommunikation in Dortmund. „Es steht nur noch die Kultur im Vordergrund, nicht mehr die Stadtteilentwicklung.“ Damit sei ein Handlungsbereich der Soziokultur der Anfangszeit weggefallen. Boll ist skeptisch gegenüber fest finanzierten Einrichtungen. Er selbst ist mit seinem Büro in Nordrhein-Westfalen für die Vergabe von staatlichen Projektmitteln zuständig. Von diesen profitieren nur Initiativen, die einen Wirtschaftsplan vorlegen, der eine finanzielle Unabhängigkeit innerhalb von drei Jahren vorsieht. Auf Nachfrage stellte Boll klar: Ein Programm zur Förderung von Soziokultur könne dies nur ergänzen, nicht ersetzen.

„Die Frage ist: Was kann man womit fördern?“, brachte Walter Siebel, Professor für Stadtsoziologie, die Sache auf den Punkt. Das Dilemma der bestehenden Zentren ist dabei, dass sich die kulturelle Szene weiterentwickelt. „Die Subkultur entfernt sich von der Soziokultur“, entzieht Lothar Bock, ehemaliger Leiter der Pumpe in Kiel, einstigen Selbstverständlichkeiten den Boden. „Wenn die Menschen unsere Räume nicht mehr nutzen, müssen wir die Räume freigeben.“

Inzwischen scheinen temporär genutzte Räumlichkeiten den künstlerischen Ausdrucksformen eher entgegen zu kommen. Die Soziokultur hat für Bock dennoch weiter eine Berechtigung. In den Zentren habe sich Organisationserfahrung im Non-Profit-Bereich angesammelt, die neue Bewegungen nutzen könnten. Außerdem: „Wenn ein Literaturzirkel und Migrantenarbeit in einem Haus stattfinden, ist das eine Errungenschaft.“

Am Ende der Diskussion stand wieder die Utopie: Ziel der Soziokultur sei die Integration von Menschen in Zeiten der Mobilität. Die Stadtteilidentität solle gefördert werden. Es gehe um die Schaffung eines „handlungsfähigen Wir“. Das Vermögen, hehre Ziele zu formulieren, ist jedenfalls noch nicht in der Krise.