Der Dollar ist kein Allheilmittel

Argentinien nähert sich dem Staatsbankrott. Diese Finanzkrise zeigt: Starre Wechselkurse sind gefährlich – eine Lehre auch für radikale Fans der Tobin-Steuer

Neben Argentinien gibt es weitere Krisenherde: die Türkei und Korea, aber auch Thailand und Malaysia

Während wir gebannt auf den Krieg in Afghanistan schauen, treibt der Kapitalismus sein ganz normales Spiel fast unbeobachtet weiter. Dabei produziert er alltäglich mehr Opfer, als es Gewehre und Bomben tun. So nehmen bestenfalls ein paar Experten den größten aktuellen Gefahrenherd für die Weltwirtschaft ernst, die Finanzkrise in Argentinien. Die Bürger plündern ihre Konten, der Staat ist zahlungsunfähig und die Banken sind pleite. Das Land befindet sich in einer monetären Katastrophe, die Lateinamerika ebenso bedroht wie die Weltwirtschaft.

Das Schema der Krise ist vertraut, beispielhaft war etwa die Asienkrise 1997/98: Ein Land weckt jahrelang Hoffnungen bei Finanziers, Investoren und Konzernen durch billige Löhne, Exportorientierung, eine überaus wirtschaftsfreundliche Regierung und günstige Kapitalanlagemöglichkeiten. Daraufhin fließen Milliarden an ausländischem Kapital ins Land, und das heimische Bürgertum holt sein Geld aus den globalen Finanzzentren New York, Frankfurt oder London heim ins Reich. Das frische Kapital führt zu einem Investitionsboom, Wirtschaft und Handel expandieren – und überziehen das Spiel des Marktes. Dem übergroßen Angebot fehlt es bald an Nachfrage. „Überproduktionskrise“ nannte Karl Marx diese immer wiederkehrende Dummheit von Markt und Kapital.

Mehren sich dann die Krisensymptome, fliehen internationales und heimisches Kapital wieder zurück in die globalen Finanzzentren. Internationale staatliche Hilfsprogramme, die der Internationale Währungsfonds (IWF) organisiert, springen notdürftig ein, damit die offenen Schulden getilgt werden können. Alles wie gehabt.

Auch Argentinien ist, wie alle Schwellen- und Vierte-Welt-Länder, vor allem ein Spielball der globalen Finanzmärkte: Im Süden nichts Neues. Dennoch weicht die Krise dort von der Standardkatastrophe insofern ab, als in Argentinien seit 1991 ein riskantes, unverantwortliches Währungsexperiment durchgeführt wird.

Rückblende. Schon Anfang der Neunzigerjahre hatte es in Argentinien gekriselt. Die Hyperinflation erreichte zeitweise 3.000 (!) Prozent. Als Medizin verabreichte der damalige und vor kurzem wieder berufene Wirtschaftsminister Cavallo eine feste Anbindung des Pesos an den US-Dollar. Mit diesem so genannten Currency Board folgte man dem Rat neoliberaler nordamerikanischer Ökonomen und Politiker, aber zugleich gab das Land seine Selbstständigkeit auf. Zins- und Geldpolitik werden seither faktisch von der US-Zentralbank Fed in Washington betrieben. Zudem mussten immer neue Kredite zu sehr hohen Risikozinsen auf dem Weltmarkt aufgenommen werden, um überhaupt genug Dollars im Land zu haben und das Versprechen halten zu können, dass jeder Peso jederzeit in die US-Währung umgetauscht werden kann.

Doch während die Theoretiker der nördlichen Großbanken die Dollarbindung als soliden Stabilitätsanker anpreisen, schafft dies tatsächlich brutale Armut. Der Grund: Statt einem „atmenden“ Wechselkurs verteuerte die starre Bindung an den steigenden Dollarkurs die Exporte Argentiniens, bremste die Binnennachfrage und behinderte Investitionen.

Aber nicht allein die Neoliberalen liegen falsch, auch die linken Anhänger einer Tobin-Steuer. Der Fall Argentinien zeigt einen klassischen Irrtum der radikalen Fans einer Tobin-Steuer – sie träumen nämlich auch von fixen Wechselkursen. Spekulative Devisengeschäfte und damit sinkende oder steigende, „atmende“ Wechselkurse können jedoch für viele Länder überaus nützlich sein. Beispielsweise konnten Griechenland, Spanien und Portugal nur durch ihre frei flottierenden, relativ schwachen Währungen schließlich den Anschluss an den harten Euro schaffen. Denn ein niedriger Wechselkurs verbilligt die Exportprodukte – und so konnten die drei Länder auf dem Weltmarkt auch gegen die Konkurrenz aus Westeuropa mithalten und mit den Gewinnen aus dem Außenhandel wiederum ihre Wirtschaft weiterentwickeln.

Allerdings: Auch in Maßen flexible Wechselkurse, wie für Argentinien von mir gefordert, sind kein Allheilmittel. Für wirtschaftlich schwächere Länder sind feste Wechselkurse oft zweckmäßig, die jedoch anders als beim starren argentinischen Currency Board von Fall zu Fall von der Regierung neu festgelegt werden. Nur so ist die nötige Flexibilität gewährleistet. Solch ein staatliches Wechselkursregime half etwa Malaysia nach 1997/98, die Asienkrise zu überleben. Dagegen neigen die Währungen der allerschwächsten Länder, und dies ist die Mehrzahl, auf dem freien Finanzmarkt systematisch zur drastischen Unterbewertung. Die Folge: Die heimischen Produkte werden „für ’n Appel und ’n Ei“ verkauft, also unter „Wert“.

Inzwischen leidet Argentinien unter tiefer Depression. In diesem Jahr sinkt das Bruttoinlandsprodukt zum dritten Mal. Das Land ist angesichts von 150 Milliarden Dollar Auslandsschulden faktisch zahlungsunfähig. Im August stockte der IWF daher den Kreditrahmen Argentiniens um 8 auf 22 Milliarden Dollar auf.

Für die Rettungstat verlangte der IWF jedoch im Gegenzug – alles wie gehabt – harte Einschnitte in die soziale und politische Struktur des Landes. Argentinien musste sich verpflichten, seine Staatsfinanzen zu konsolidieren und das staatliche Defizit auf null zu fahren (die Euro-Kriterien erlauben dagegen immerhin drei Prozent Neuschulden!). Daher wurden Renten und Gehälter drastisch gesenkt, gibt es weniger Geld für Schulen und wachsende Armut in Slums und auf dem Lande. Die Armen zahlen so für die Finanzkrise der Reichen und die falsche Wirtschaftspolitik des IWF.

Obendrein werden die privaten Verluste der Banken und Anleger über die IWF-Milliarden sozialisiert und auf die Mitgliedsländer abgewälzt – alles wie gehabt. An diesem Muster ändert es nichts, dass der IWF jetzt vorübergehend die Zahlung einer Tranche der zugesagten 22 Milliarden Dollar ausgesetzt hat.

In Argentinien müssten die regionale Wirtschaft und die Agrarproduktion gestärkt werden

Nötig wären vor allem konkrete Hilfen für Argentinien: So müsste die regionale Wirtschaft gestärkt werden, indem etwa die heimische Agrarproduktion von Palmherzen und schwarzen Bohnen sowie ihre Verarbeitung gefördert wird. Doch stattdessen werden mit den neuen IWF-Geldern nur alte Kredite ausgelöst. Faktisch zahlt der IWF die Banken aus.

Mit dem IWF-Paket sind jedoch nicht einmal die globalen Finanzmärkte wirklich stabilisiert. Ein Überschwappen der Argentinien-Krise auf Amerika und Europa droht. An weiteren Krisenherden besteht zudem kein Mangel. Im Sommer sprang der IWF mit 8 Milliarden Dollar der Türkei bei, und in Korea, Thailand oder Malaysia sind die Auswirkungen der Asienkrise noch zu spüren. China wird zudem in den kommenden fünf Jahren seine Finanzgrenzen weit öffnen, mit ungewissem Ausgang. So sind die globalen Finanzmärkte heute labiler als vor der Asienkrise.

HERMANNUS PFEIFFER