Witze zum Anfassen

Arnulf Ratings neues Programm „Knapp daneben“ zeigt sich in den Wühlmäusen als unterhaltsame, bunte Platte, die nicht mit viel Gratwanderung behelligen will

Die kabarettistischen Feindbilder haben sich schon deutlich verändert, Standardsituationen und Plattitüden als Witzkonsens über alle Parteingrenzen und Alterschichten hinaus wird es aber offensichtlich immer geben. Was uns früher zum Beispiel Birne Kohl war, ist heute die Frisur von Angela Merkel, sind einstige WG-Bewohner, die in Anzügen im Reichstag den Politiker mimen.

Arnunf Rating ist weder auf den Mund gefallen, noch um Sprachwitz und manch absurdes Gedankenspiel verlegen. Aber je länger man in seinem aktuellen Programm „Knapp daneben“ sitzt, um so mehr bekommt man den Eindruck, Rating will sich als künftiges Dauermitglied bei „7 Tage, 7 Köpfe“ empfehlen. Natürlich, die Zeiten haben sich verändert. Die Tage, da Rating als einer der „3 Tornados“ Anarchokabarett vom Feinsten und Fiesesten machen durfte, sind sehr lange vorbei. Aber seine Glanzstunde über den Regierungsumzug „Berlin Express“ wiederum ist doch noch gar nicht so lange vom Spielplan verschwunden.

Das hatte nicht nur bösen Witz, sondern vor allem auch eine stringente Dramaturgie. Arnulf Rating in „Knapp daneben“ (Regie Ulrich Waller) aber ist eine bunte Platte mit sämtlichen Themen, die in den vergangenen Monaten nun einfach mal anstanden. Kriegseinsatz in Afghanistan („Joschka Fischers langer Marsch in den Arsch von George W. Bush“), Gentechnik, Atomausstieg und Schills Wahlsieg, selbst an die Berlinwahl, die Scharping-Flug- und Pool-Affäre und Westerwelle bei „Big Brother“ werden wir noch einmal erinnert. Gewiss, Rating weiß mit Sprache umzugehen und in seiner Kaffeefahrtenheizdeckenverkäufermanier sein Material an Mann und Frau zu bringen – doch um welchem Preis?

Reicht es nicht, wenn RTL-Spaßmacher wie Kalle Pohl mit abgestandenen Klischees über Finanzbeamte und zu hohe Steuern ihre Sendezeit füllen? Auch Rating fühlt sich inzwischen bemüßigt, in diese Stammtischhumorschiene zu rutschen: „Wie kann ich für meine Kindern ein höheres Bildungsniveau erwarten, wenn ich ihnen Beamte als Lehrer vorsetze?“ Da schlägt sich sogar der Oberstudienrat mal kurz auf die Schenkel. Rating macht den Ranschmeißer und pendelt sich im Satiregrad auf ein Publikum ein, das mit allzu viel Schärfe oder Gratwanderungen nicht behelligt und überfordert werden möchte.

Natürlich fehlt nicht die Abrechnung mit alten Kämpfern aus der Strickpullizeit, den Alt-68ern und ihren Ideen und Visionen. Ein Wiedersehen bei einer Geburtstagtagsfeier spielt Rating als multiple Persönlichkeit: den IT-Business-Looser, der die Millionen an der Börse verloren hat, den weichen Schlaffi aus der „Männergruppe mit Anfassen“, den erfolgsorientierten Werbefuzzi und einen grünen Trittbrettfahrer aus dem Reichstag.

In solchen Szenen schimmert die Enttäuschung über politische Realitäten durch, aber die Essenz, die Lösungen bleiben bekömmlich und unterhaltsam. Unbequem oder überraschend hingegen sind sie nicht. Im langen Marsch durch die Institutionen wie durch die Kabarettanstalten ist auch bei den einst so verqueren Köpfen offensichtlich so mancher ganz schön altersmilde geworden. AXEL SCHOCK

Bis 31. 12., Wühlmäuse am Theo, Pommernallee 2-4, Charlottenburg