EIN GRÜNES PAPIER ZUM MILITÄREINSATZ DENKT ÜBER AFGHANISTAN HINAUS
: Im Rhythmus von Rostock

Der Parteitag von Rostock war doch mehr als nur ein Abstimmungssieg für Joschka Fischer. Er hat eine wirkliche Zäsur eingeleitet. Nun haben führende gemäßigte Linke und Realos der Fraktion in einem Papier nachgelegt. Im Rhythmus von Rostock soll es weitergehen: Sie wollen „den Einsatz von Militär als Ultima Ratio auf der Basis des Völkerrechts“ nicht mehr ausschließen.

Sicherlich, solch ein Satz ist immer noch ein typisch grüner Satz. Defensiv, vorsichtig. Niemand soll überfordert werden, weil die Afghanistan-Entscheidung für viele Grüne schon das Maß des Erträglichen überschritten hat. Wie in Rostock, wo die Partei den Einsatz der Bundeswehr in der Anti-Terror-Koalition lediglich akzeptierte, bedarf es immer noch der Seelenmassage. So heißt denn auch der Titel der Schrift „Von der Friedensbewegung zur Friedenspolitik“ – als habe hier eine in sich schlüssige Transformation stattgefunden.

Man sollte aber gerechterweise Parteien im Allgemeinen nicht überfordern. Ein Rest an Lebenslüge braucht jede, um ihre Identität zu wahren. Insofern klammern sich die Grünen in der Wahl mancher Begriffe an alte Vorlagen – so als hätten nicht auch andere Regierungen vor ihnen Friedenspolitik betrieben, mit mitunter ebenso ehrenhaften Motiven wie die Grünen selbst. Man sollte den Stab über solche Formulierungskünste der Fraktionsführung und ihrer Mitstreiter aber nicht brechen: Im Kern ist das Papier eine Annäherung an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, kein Versuch, die selbstquälerische Rückschau fortzuführen – in erfrischender Knappheit widmet man sich den Problemen der Gegenwart: Militär, UN, Rüstungsexporte, Friedensprävention und nicht zuletzt Afghanistan. Bemerkenswert knapp wird festgehalten, dass die Kriege der Gegenwart anderen Regeln als den hergebrachten folgen, dass in staatsfreien Räumen Warlords und Terrorismus sich in (antizivilisatorischen) Gegenwelten einrichten.

Hierauf muss eine Partei wie die Grünen Antworten finden. Sie darf sich nicht darauf beschränken, humanitäre und entwicklungspolitische Hilfe am lautesten zu fordern. Sie muss auch sagen, wie die Grundlagen gesichert werden, auf denen Hilfe erst verteilt, auf denen ein Mindestmaß an Rechtssicherheit wiederhergestellt wird. Dazu hat das Papier seinen Beitrag geleistet. Wie bei den Grünen erwartbar, wird wohl bald die Gegenposition formuliert. Sie wird den Anschluss an die Vergangenheit suchen. Die jetzt anstehende Debatte wird möglicherweise noch tiefer gehen als die von Rostock. Schließlich droht einstweilen keine neue Vertrauensfrage. SEVERIN WEILAND